Sunday, November 19, 2006

Freundschaft auf Deutsch

25 Politologen, Soziologen und Orientalisten fordern in einem „Manifest der 25“ unter dem Titel „Freundschaft und Kritik“, einen Schlussstrich unter das ‚Besondere’ in den deutschen Beziehungen zu Israel zu ziehen. Sie gehen dabei altbekannte Pfade.

Deutschland habe sich, so charakterisieren sie dieses ‚Besondere’, „angesichts der Ungeheuerlichkeit des Holocaust und der prekären Lage Israels uneingeschränkt für Existenz und Wohlergehen dieses Landes und seiner Bevölkerung einzusetzen, unter anderem durch Lieferung von staatlich geförderter hochwertiger Waffentechnologie auch dann, wenn Israel gegen internationales Recht und die Menschenrechte verstößt und sich im Kriegszustand befindet“. Die VerfasserInnen des ‚Manifests’ sehen Ihre Mission offensichtlich im Auslösen eines feuilletonistischen Volkssturms auf die ‚Auschwitzkeule’, die, wie sie meinen, der deutschen Nahost-Politik beständig droht.

Doch der Spannungsbogen erweist sich schon am Anfang als Rohrkrepierer, denn die drei Fragestellungen, denen die kritischen Geister in ihrem Manifest auf den Grund gehen wollen, erübrigen expressis verbis die Antworten: „1. Ist es angemessen und sinnvoll, die "freundschaftliche Beziehung" - und das soll sie nach Auffassung der Autoren bleiben - weiterhin als "besondere" im angedeuteten Sinne zu pflegen? 2. Steht Deutschland aufgrund des Holocaust wirklich nur bei Israel in der Pflicht im Nahen Osten? 3. Und was bedeutet es für den binnendeutschen Diskurs, für die Beziehungen zwischen nicht-jüdischen, jüdischen und muslimischen Deutschen, wenn diese beiden Fragen ernsthaft gestellt werden?“ Nun ja, dann könnte tatsächlich der vertraute antisemitische Stallgeruch aufkommen. Vor der Beantwortung der ‚Fragen’ schwören die AutorInnen also noch einmal Stein und Bein, „dass angesichts der weltweit historischen Einzigartigkeit des Holocaust […] besonderer Zurückhaltung und besonderer Sensibilität […] nichts von der Verpflichtung entbinden […] religiösen Antijudaismus und dem ethnisch oder/und rassistisch motivierten Antisemitismus entschieden entgegenzutreten […]“. Schamlos ausgefeilt kommt letztere Definition daher, soll sie doch jeden israelbezogenen, ‚antizionistischen’ Antisemitismus, und sei er noch so mörderisch, sorgfältig umschiffen.

Die AutorInnen geben sich anlässlich der Beantwortung der ersten Frage als aufrichtige Freunde Israels aus, die eine „tragfähige“, wahlweise auch „belastungsfähige“ Freundschaft entwickeln möchten, „in der auch Kritik in unterstützender, nicht abwertender Absicht ihren Platz hat“. Leider haben die Israelis keinen Begriff von solch deutscher Freundschaft. Sie denken immer gleich, sie werden abgewertet. Sie verstehen einfach nicht, dass „Freunde oder Freundinnen einander aus Sorge um das Wohlergehen des anderen auch vor Fehlern, Fehlentscheidungen und Fehlhaltungen warnen“. Sie glauben partout, sie wüssten selbst am Besten, was ihrer Sicherheit dient. Die Masche - nennen wir sie Derehrlichefreund - ist uralt. Sie ist langweilig und sie ist weinerlich. Neben Israel wird sie bezeichnenderweise ausschließlich gegenüber den USA vorgebracht.

Die zweite Frage führt die VerfasserInnen zur Thematisierung der „deutschen Verantwortung für Palästina“, das unter der „Auslagerung eines Teils der europäischen Probleme in den Nahen Osten“ – sprich: dem Judenproblem - bis heute zu leiden habe. Der Holocaust habe unendliches Leid über die Palästinenser gebracht, und er sei außerdem für die brutale Besatzungspolitik der Israelis wie auch für die materielle und politische Rückendeckung der USA verantwortlich. Israel und alles damit in Zusammenhang zu bringende Übel ist solcher Anschauung zufolge via Holocaust eigentlich von Deutschen fabriziert worden, was diesen folgerichtig eigentlich die Aufgabe auferlegte, das Übel zu beseitigen. So weit wollen die AutorInnen nicht gehen. Aber es liege in deutscher Verantwortung, dass Palästina „kein Homeland, kein zerstückeltes Bantustan“ bleibe - man beachte die plumpen Hinweise auf Apartheid, ohne das Wort selbst zu nennen. Die AutorInnen täuschen auch bei diesem Anliegen die Sorge um das Wohlergehen Israels vor - jedoch nicht ohne gleichzeitig eine leise Drohung zu zischen - wenn sie erklären, nur mit zufriedenen Nachbarn könne Israels Sicherheit auf Dauer gewährleistet werden.

Der Konflikt wird, in einige Neutralitätsrhetorik („beide Seiten gerecht werdende deutsche Haltung“) eingebettet, wie folgt dargestellt: auf der einen Seite „die militaristischen Gruppen der Palästinenser und die Hizbullah mit ihren Raketenangriffen und den fortgesetzten Selbstmordattentaten“, auf der anderen Seite „völkerrechtswidrige Fortsetzung und der massive Ausbau der israelischen Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten seit 1993, dem Zeitpunkt des Oslo-Abkommens, die willkürliche Zerstörung von Häusern, Gärten, Olivenhainen, Infrastruktur, die täglichen Demütigungen der Palästinenser und schließlich die de facto-Annektion von etwa 10 Prozent des Westjordanlandes mittels einer "Zaun" genannten, in Teilen acht Meter hohen Mauer“. Man beachte den verniedlichenden Begriff „militaristische Gruppen“. Man beachte auch die perverse Logik der Gleichsetzung - hier die Selbstmordbomber, dort der israelische Staat – die selbst doch nur zum Schein formuliert wird.

Schließlich wollen die VerfasserInnen den „binnendeutschen Diskurs“ untersuchen. Nach pflichtschuldigem Bedauern über nach wie vor vorhandenen Antisemitismus in Deutschland wird ein vollkommen missverstandener Adorno gegen den „problematischen Philosemitismus“, der schließlich den Antisemitismus eher stärke als schwäche, in Stellung gebracht. Denn ‚Israel-Kritiker’ wissen: Kronzeugen sind wichtig und sollten jüdisch sein. Was die Zitierten mit dem Zitat gemeint haben oder ob sie überhaupt etwas gesagt haben, ist gleich. Einige Zeilen weiter wird wiederum Adorno, diesmal gleich gemeinsam mit anderen jüdischen Intellektuellen, die sich auch nicht mehr wehren können, als posthumer Kronzeuge für fragwürdiges Wortgeklingel angeführt.

Dass dieses niveauarme Pamphlet von der gesellschaftswissenschaftlichen Elite dieses Landes herausgegeben wurde, ist so unfassbar wie bezeichnend für die hiesige Wissenschaftslandschaft, in der ein entsprechender Geist leider hegemonial ist. Unter den Autoren finden sich einige seit Jahren einschlägig bekannte ‚Israel-Kritiker’ und Terror-Apologeten, so etwa der Direktor des Deutschen Orient-Institutes, Prof. Dr. Udo Steinbach, oder der Philosophieprofessor Dr. Georg Meggle, die ihr berufliches Selbstverständnis offenbar mehr in der Hasspredigt als in der wissenschaftlichen Arbeit gefunden haben. Als Lehrmaterial und zur Dokumentation von Argumenten und Mechanismen eines modernen, auf Antizionismus beruhenden Antisemitismus kann dem Text vielleicht dennoch eine aufklärerische Funktion abgerungen werden, denn alle wesentlichen Elemente finden sich hier gebündelt wieder.