Sunday, August 20, 2006

Tanz den Nasrallah

Der hier übersetzte Song ist zur Zeit ein echter Hit im Westjordanland und wahrscheinlich weit darüber hinaus. Er stammt von der Gruppe Firqat ash-Shimal, die wiederum stammen aus der Gegend von Jenin. Der Song hat sie von einem Tag auf den anderen berühmt (aber wegen fehlenden Urheberrechts nicht reich) gemacht.

Nach Saddam Hussein, Bin Laden und anderen Ikonen der Gegenmacht wird nun also der Nasrallah von den Palästinensern glorifiziert. Psychoanalytisch lässt sich das wohl folgendermaßen fassen: das schwache Ich sucht sich einmal mehr den starken Führer fürs Kollektiv, über dessen Idealisierung es sich zugleich mit den anderen Individuen zur Masse, zum Mob verbinden kann. Die Idealisierung stellt ein regressives Moment dar, ein Zurückgehen auf die narzistische Stufe der Libidoentwicklung, auf der das Objekt von Idealisierung und Identifikation noch ungeschieden vom Subjekt, gleichsam als dessen Erweiterung, wahrgenommen wird. Die Identifikation der Individuen untereinander – die alle ein identisches, der Außenwelt entliehenes Ichideal aufweisen - bringt eine weitere narzistische Aufwertung mit sich. Die als kollektives Über-Ich nach außen verlegte Autorität führt außerdem zu einer immensen Entlastung des Gewissens. Infantiler Größenwahn und Skrupellosigkeit sind also kennzeichnende Symptome dieser Regression. Das Lied erzählt davon:

Eure Erde ist unsere Erde / euer Jerusalem ist unser Jerusalem / euer Blut ist unser Blut / eure Söhne sind unsere Söhne

Oh Falke des Libanon / oh Hassan Nasrallah

Das sind die Männer von Hisbullah / Sieg, Sieg mit Gottes Hilfe

Nasrallah der Verwegene / er folgte dem Ruf (Gottes) und der Rache

Rache arabischen Blutes, Rache / und islamischem Eifer

Wohin auch die Raketen schießen / das stolze Volk …

Wird dich in die Geschichte schreiben / dem Herrn der Schöpfung wirds gefallen

Deine Raketen auf Israel / man erzählt sichs von Generation zu Generation

Die Katjuscha ist der beste Beweis / sie erscheckt die Zionisten

Nasrallah, machtvollste Stimme / mein Volk folgt dir bis in den Tod

Wir wollen kein Geld und keine Edelsteine / wir wollen in Freiheit leben

Das Blut antwortet dem Blut / was eures ist, ist nicht ihrs

Die Zionisten sind das größte Gift / auf dem arabischen Boden .

Wednesday, August 02, 2006

Über die Unverhältnismäßigkeit

Anwürfe gegen Israel, wenn es sich wieder einmal verteidigen muss, sind durchweg moralisierenden Charakters. Israels militärische Überlegenheit gibt dem Nahrung. Da der Moralische der Ratio sich verschließen muss, erwägt er nicht das Ungeheure, wäre Israel einmal unterlegen - wenigstens nicht bewusst.

Man wisse ja, seufzt mancher resignierend, ein Israeli sei mindestens 100 Araber wert. Andere erklären aufgebracht, alle Menschen müssten doch gleich viel wert sein, und unterschiedliche Maßstäbe dürften nicht gelten. Nicht über rassistische Denkschemata Israels erfahren wir durch solche Äußerungen etwas, sondern über verdinglichte seiner Kritiker. Israel sinniert nicht über den Wert von Menschen, sondern es hat sich geschworen, niemals wieder Judenmord zuzulassen und bis zum Äußersten zu gehen für den Schutz seiner Bürger. Die Kritik verweist auf einen anderen Punkt. Soll auch der "Wert" der Menschen dem Kritiker zufolge gleich sein, so wird Israel hier offensichtlich nicht nach gleichem Maßstab beurteilt wie alle anderen Staaten, denen das Leben ihrer Bürger im Ernstfall auch 100 ihrer Feinde "wert" sind. Warum also soll Israel seine irren Todfeinde gewähren lassen? Weil die Staatlichkeit Israels, die jüdische Staatlichkeit, noch immer als unerhörte Anomalie und deren barbarische Bekämpfung als eigentlicher Naturzustand erfahren wird.


Sind israelische Kriegsopfer mehr wert als die ihrer Feinde? Offensichtlich, denn wegen drei Entführten, so wird oft kurz geschlossen, führt Israel einen Krieg, der schon Hunderte von Menschen das Leben gekostet hat. Israel hat überreagiert, ist sich der deutsche Blätterwald immer einiger. Ausgeblendet wird nicht nur der jahrelange Raketenbeschuss durch Hisbullah und Hamas, der erst nach der Räumung besetzter Gebiete ungeahnte Ausmaße angenommen hat. So viel ist richtig: das Leben und die Sicherheit der Entführten und aller anderen Israelis ist dem Staat sehr wertvoll. Notfalls kämpft und tötet er für diese, doch der Kampf bleibt immer allein diesem Ziel verpflichtet. Dem steht die Idee der Selbstmordkommandos und des Märtyrerkultes gegenüber, dessen erste Parole dem Feind gegenüber lautet: ihr liebt das Leben, wir aber lieben den Tod. Das Leben des Einzelnen zählt nichts bei ihren Anhängern, Freiheit und Recht existieren nicht. Einzig der Märtyrer wird zur entpersonalisierten Ikone stilisiert und hält einen ebenso triumphalen wie verlogenen Einzug ins Kollektivgedächtnis. Insofern ist ihr Leben - ganz sebstbestimmt - im Gegensatz zu denen der Israelis tatsächlich denkbar wenig wert. Das ist die wahre Unverhältnismäßigkeit.


Die Kampfverbände der Hisbullah operieren bekanntermaßen gezielt aus Wohngebieten heraus, denn der Tod vieler unbeteiligter Landsleute wird für den Sieg im Propagandakrieg nur allzu gern erkauft. Verachtung des Lebens und Verachtung des Todes korrespondieren aufs Innigste bei einer Bewegung, deren oberstes Ziel das Erreichen möglichst vieler ziviler Toter ist. Dabei trägt der Todeskult von Anfang an das Element von Totalität in sich. Ein zunächst gegen den Feind gerichteter unbedingter Vernichtungswille greift letztlich auch auf die eigene Bevölkerung über. Die Aggression erfährt totale Entgrenzung und wird tendenziell weltverzehrend. Es bleibt die traurige Aufgabe der Israelis, der Todessehnsucht ihrer Gegner nachzukommen, so lange diese nicht gelernt haben, ihre ganz weltlichen Interessen zu verfolgen. Sie haben schlicht keine Wahl.