Thursday, June 29, 2006

Ayatollah Sistani lässt Schwule und Lesben ermorden

Fatwa: "Tötet sie auf brutalste Art und Weise!"
Ayatollah Ali al-Sistani, der in islamwissenschaftlichen Kreisen in der Vergangenheit häufig als gemäßigter und weltabgewandter, politikferner Führer der Gläubigen, sozusagen als Gegenentwurf des Khomeini-Typus, dargestellt worden ist, zeigt sich als einer der großen Inszenierer des Horrors im Irak. Seine homophobe Mordmaschine rollt ungebremst durchs Land. Mehr z.B. hier.

Terror und Propaganda in Syrien

Wenn leere Gebäude angegriffen werden

Baschar al-Assad, Thronerbe auf dem Präsidentenstuhl der syrischen Republik, war angetreten mit der Ankündigung, umfassende Reformen auf jedem Gebiet, sei es politisch, wirtschaftlich oder kulturell, durchzuführen. Doch der innenpolitische Stillstand, der wohl angesichts der Zukunftsaussichten des Systems treffender mit den Worten Verfall und Niedergang charakterisiert wäre, prägt auch sechs Jahre nach seinem Amtsantritt das Bild.

Auf welche Eckdaten der syrischen Wirtschaft der Blick auch fällt, sie lassen auf keine rosige Zukunft hoffen. Die wichtigsten Exportgüter Syriens sind neben Erdöl landwirtschaftliche Erzeugnisse. Während in der Landwirtschaft in den letzten Jahren moderate Produktivitätszuwächse zu verzeichnen waren, da die staatliche Politik Autarkie besonders auf dem Nahrungsmittelsektor anstrebt, sinkt die Ölrevenue aufgrund der sich erschöpfenden Vorkommen stetig. Bereits in wenigen Jahren wird Syrien Erdöl-Nettoimporteur sein; die steigenden Ölpreise, die den Auswirkungen dieser Dynamik bisher noch entgegenwirkten, werden dann den syrischen Haushalt zusätzlich belasten. Vor allem angesichts der sinkenden Ölförderung liegt die Außenhandelsbilanz Syriens seit 2004 im negativen Bereich. Dies war vermutlich auch schon in den Jahren davor so, doch der massenhafte Schmuggel von Waren, der insbesondere von der im Libanon stationierten syrischen Armee betrieben wurde, ging an den Statistiken vorbei und verfälschte auf diese Weise die Bilanz. Exaktere Zahlen kamen erst durch die Liberalisierung des Handels 2004 ans Tageslicht. Die Inflationsrate bereitet immer wieder Sorgen, und auch das Wirtschaftswachstum bleibt unzulänglich: weit verbreitete Korruption bis in die höchsten Ränge des Staatsapparats, starke Regulation der Wirtschaft, fehlende politische Freiheit und eine allgemeine Rechtsunsicherheit tragen dazu bei, dass private Investitionen weiter rückläufig sind. Die Schaffung von Arbeitsplätzen kann daher nicht mit dem hohen Bevölkerungswachstum von über drei Prozent Schritt halten. Ein großer Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Sektor, denn die Regierung bekämpft die Arbeitslosigkeit, indem sie de facto überflüssige Stellen erhält. Sie subventioniert über diese Gehälter und Renten einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung und hält ihn auf diese Weise in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Staat. Dieses für den nahöstlichen Rentierstaat typische Verteilungssystem wird in der Zukunft ökonomisch nicht mehr tragfähig sein.

Nicht Reformunwilligkeit mag man dem „Ra’is“ angesichts ungezählter Gesetzentwürfe und Verordnungen vorwerfen, allein es fehlt an deren Umsetzung. Die Reformen finden eigentlich ausschließlich auf dem Papier statt. Ein neues Gesetz sollte die Etablierung einer Nichtregierungspresse ermöglichen, doch tatsächlich können bis jetzt nur belanglose Blätter erscheinen. Per Dekret ordnete Baschar die Reduzierung des obligatorischen Grundwehrdienstes auf zwei Jahre an, doch die Implementierung lässt weiter auf sich warten. Ebenso verhält es sich mit den reformierten Steuergesetzen oder mit den Plänen, ein Verfahren zur Entschädigung enteigneter Grundbesitzer zu entwickeln. Seit Jahren spricht Baschar auch von der Behebung gewisser „Missstände“ im Hinblick auf Teile der kurdischen Bevölkerung. Denn noch immer, wie schon seit Jahrzehnten, warten Zehntausende Kurden auf eine Neuausstellung ihrer Ausweispapiere und damit auf ihre Anerkennung als gleichberechtigte Bürger Syriens. Doch es regiert allenthalben die Stagnation. Der Präsident, so sind sich viele Analysten einig, kontrolliert den eigenen Apparat nur unzureichend. Die verkrusteten Machtstrukturen in der mafiös organisierten Führung vereiteln jeden Reformansatz und halten das Land weiterhin im eisernen Griff. Und die Repression nimmt zu: erst jüngst spülte die grösste Verhaftungswelle seit den Verhaftungen nach dem so genannten „syrischen Frühling“ im Jahr 2001 wieder einmal zahlreiche kritische Intellektuelle in die berüchtigten Folter-Gefängnisse. Baschar erklärte kürzlich seinem Volk in einer Fernsehansprache, angesichts der angespannten Situation im Irak und der fortwährenden Konfrontation mit dem Westen gehe die Sicherheit des Staates vor, müssten politische Reformen hintangestellt werden.

Die Unbeweglichkeit des Regimes in Bezug auf Entwicklung und Reformen steht ganz im Kontrast zu seiner Kreativität als Nachrichtenproduzent und seiner Fähigkeit zur theatralischen Selbstinszenierung. Denn die Lufthoheit über die Nachrichtenlage liegt in Syrien so gewiss in staatlicher Hand wie im Übrigen jede öffentliche Regung des Volkes. Immer mal wieder demonstriert die Staatsmacht vermittels spektakulärer Meldungen auf eine sehr plakative Art und Weise, dass sie die Zügel noch fest in der Hand hält. Bisweilen regen sich jedoch Zweifel an den kolportierten Versionen einiger Vorfälle, und der Verdacht eines grandiosen Schauspiels keimt auf. Da finden in schon fast regelmäßigen Abständen kleine, isolierte Zusammenstöße zwischen islamischen Terroristen der „Jund al-Sham“, einer etwas nebulösen Gruppe, der Verbindungen zum kürzlich liquidierten Abu Musab az-Zarqawi, al-Qaida-Chef im Irak, nachgesagt werden, und Sicherheitskräften statt. Entweder sind es dilettantisch durchgeführte Terrorattacken auf irrelevante Ziele, die in allerletzter Sekunde von den Sicherheitskräften vereitelt werden, oder aber die Terroristen werden durch Razzien der Antiterroreinheiten gleich präventiv übertölpelt. Das Ergebnis ist stets in etwa das Gleiche: einige tote Kämpfer und einige alte Waffen, beide gleichermaßen lieblos zum Fototermin aufgereiht. Auch rund um die Hariri-Ermittlungen gibt es Aufsehen erregende News. Da begeht der syrische Innenminister Ghasi Kanaan aus unerfindlichen Gründen Selbstmord, gleich nachdem er vor der UN-Untersuchungskommission zum Mord an Hariri ausgesagt hatte. Da wird eben diese Untersuchungskommission just zur rechten Zeit als Hort der Verschwörung gegen Syrien enttarnt, denn der Hauptbelastungszeuge Hussam kann den Manipulations- und Bestechungsversuchen von UN-Ermittlern und Hariri-Familie gerade noch entfliehen - hinüber ins rettende Syrien, wo er sofort die dortige Redefreiheit nutzt und eine ausführliche Pressekonferenz gibt, die in den darauf folgenden Tagen als Dauersendung über den Staatsäther das Volk berieselt. Und – nicht zu vergessen - da kann schließlich mitten in Damaskus, wo jede nächstbeste Kurdendemo noch am Versammlungsort erbarmungslos niedergeknüppelt und samt und sonders verhaftet wird, ein unorganisierter wütender Mob die dänische und dann auch noch die norwegische Botschaft in Brand setzen, bevor ihm die Polizei endlich vor der französischen Botschaft doch noch Einhalt gebietet. Anfang Juni ereignete sich erneut ein nachrichtenrelevanter Zwischenfall: Sicherheitskräfte vereitelten einen Anschlag auf ein leer stehendes Gebäude in der Nähe der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt im Westen der Hauptstadt. Fünf Tote und verschiedene Waffen werden danach präsentiert, mindestens 14 „Islamisten“, allesamt aus dem gleichen Dorf stammend, werden in den darauf folgenden Tagen verhaftet. Die eigentlich nahe liegende Frage, warum ein leeres Gebäude angegriffen werden sollte, wird nicht thematisiert.

Bereits vor zwei Jahren hatte sich nicht weit vom Tatort entfernt ebenfalls ein Angriff auf ein seit Jahren leer stehendes Gebäude ereignet. Zuvor war es von den für die Überwachung des Waffenstillstands mit Israel zuständigen U.N. Disengagement Observer Forces genutzt worden, nun wohnten lediglich zwei obdachlose Familien darin. Vier Bewaffnete zündeten vor dem Haus eine Autobombe und lieferten sich anschließend mit den Sicherheitskräften ein über einstündiges Feuergefecht, in dessen Gefolge zwei der Angreifer sowie ein Polizist und eine Unbeteiligte getötet wurden. Daraufhin kam eine Menschenmenge vor Ort zusammen, hielt Bilder des Präsidenten in die Höhe und skandierte antiamerikanische Parolen; Autos fuhren wie nach einem gewonnenen Fußballspiel hupend durch die Straßen.

Diese wahlweise von der Führung begeisterten oder gegen das feindliche Ausland protestierenden Massen sind ein unverzichtbares und immer wiederkehrendes Motiv in der baathistischen Choreografie, deren Ästhetik im Übrigen westeuropäischen Linken durchaus vertraut sein sollte. Die Demonstranten tragen bunte Transparente und Fahnen; sie rufen Parolen gegen den Imperialismus und für die Selbstbestimmung der Völker, fordern Solidarität und Gerechtigkeit, halten Mahnwachen ab und recken die Fäuste dem Himmel entgegen; als gelte es, endlich der Unterdrückung ein Ende zu bereiten. Dieses Widerstandsgebaren wirkt eigentümlich deplaziert, sind es doch Demonstranten des Regimes, kleine Mitläufer und Jasager, die ihre Performance bloß im Auftrag inszenieren gegen die imaginierte, allgegenwärtige Verschwörung des Auslands.

Die außenpolitische Funktion des Vorfalls selbst ist in diesem Fall leicht auszumachen. Syrien stand zu der Zeit wegen der vermuteten Förderung des Terrorismus im Irak extrem unter Druck. Die USA warfen Syrien wiederholt vor, die Grenze zum Irak nicht ausreichend zu schützen und terroristischen Gruppen einen gefahrlosen Transit zu ermöglichen. Da ereignete sich jener Anschlag, der nach Angaben aus Regierungskreisen eine Vergeltung für die Unterstützung der Amerikaner im Kampf gegen al-Qaida darstellen sollte. Die Syrer demonstrierten auf diese Weise, dass sie wegen ihrer konsequenten Antiterrormaßnahmen bereits mit Rebellion zu kämpfen hätten. Warum allerdings eine islamistische Gruppe nicht etwa zentrale Einrichtungen des Regimes, sondern ausgerechnet ein Gebäude der UN angreifen sollte, ist kaum nachzuvollziehen. Syrien konnte sich jedoch nun als Zielscheibe des internationalen Terrorismus darstellen und reklamierte so für sich den Anspruch, nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu sein.

Schwer ist zu beurteilen, zu welchen Anteilen Wahrheit und Dichtung sich in den kolportierten Räuberpistolen mischen. Es mag durchaus Aktivitäten kleiner islamistischer Terrorzellen in Syrien geben, so viel sei nicht in Abrede gestellt. Doch die Geschichten um die Ereignisse herum haben Funktionen im Dienste der Machterhaltung zu erfüllen. Neben einer situationsbedingt kalkulierten Propagandawirkung nach außen richtet sich vermutlich eine weitere wichtige Aufgabe dieser Meldungen nach innen. Es geht darum, den Respekt vor dem Staat, dem Präsidenten und den Exekutivorganen durch möglichst plastisches Zurschaustellen unvermittelter Herrschaft zu erhalten und zu stärken. Der Staat muss stets siegreich dastehen, denn nur dem Siegreichen ist die Gefolgschaft sicher; nur so kommt die etablierte Logik der Gewaltherrschaft zu sich selbst.

Auf ideologischem Parkett haben Panarabismus und arabischer Sozialismus eigentlich bereits seit dem Sechstagekrieg ihr Renommee verloren; insofern ist die syrische Baath-Partei des 21. Jahrhunderts ein Anachronismus par excellence. Eine liberale Bürgergesellschaft nach westlichem Vorbild scheint den Wenigsten ein realistisches Ziel zu sein in einem Land, in dem komplexe religiöse, ethnische, sowie Stammes- und Clanzugehörigkeiten de facto den persönlichen Status bestimmen. Nur der Islamismus hat, wie ehedem der Sozialismus arabischen Zuschnitts in Verbindung mit dem Panarabismus, das Potenzial, die Schranken zu überwinden (nicht aufzulösen!) und das kollektive Selbstverständnis einer egalitären (Not-)Gemeinschaft hervorzubringen. Die Vision eines Gottesstaates könnte eine Massenbasis erzeugen, die zu einer echten Opposition im Land taugt. Das Regime teilt diese Einschätzung, wie sich bereits 1982 zeigte, als Hafiz al-Assad die Stadt Hama bombardieren ließ, um einen Aufstand der Muslimbruderschaft niederzuschlagen. Tausende von Toten und eine zerstörte Stadt waren ihm dieser Sieg wert.

Und tatsächlich ging der Staat gefestigt aus diesem Vernichtungsfeldzug hervor. Er hatte in den Augen vieler an Legitimität gewonnen, denn, so lautete das Argument aus theologischer wie aus tribaler Sicht, das Recht ist mit dem Siegreichen. Auch die schlechte Ordnung, so will es die vorherrschende sunnitische Tradition, verlangt Loyalität und Unterwerfung, so lange die Ausübung des Glaubens nicht behindert wird, denn jede Ordnung sei schließlich besser als keine. Und nach tribaler Tradition ist es die Autorität des obersten Stammesführers, Desiderat des Respekts vor allem für seine kriegerischen Erfolge, welche über die Anhängerschaft subalterner Stämme bestimmt. Den Islamismus bekämpfen heisst daher für das Regime, ihn zwar als allgegenwärtige Gefahr, aber zugleich als impotenten Gegner zu zeichnen, dem anzuhängen keine Rendite verspräche.

Diese archaische Logik ist es auch, welche die plumpe Propaganda des Staates wirksam werden lässt. Die offiziellen Verkündungen werden von vielen nicht auf ihre Stichhaltigkeit überprüft, nicht kritisch bewertet, sondern einzig und allein als herrschaftlich sanktionierte Wahrheit konsumiert. Das allgemein niedrige Bildungsniveau trägt dazu bei, dass vielfach Politik in Kategorien von Verschwörung abgehandelt wird. Der kritische Gedanke unterliefe den Funktionszusammenhang dieser Gesellschaft und wäre damit an sich bereits ein Manifest der Nichtzugehörigkeit, ja des Nicht-Seins in einer Gesellschaft, die Leben ohne Zugehörigkeit nicht denken kann. Kritik erfordert Abstraktion, erfordert Konzentration auf den bloßen Gegenstand als etwas Losgelöstem abseits aller Besetzungen. Sie erfordert ein entsprechend abgelöstes, freies Individuum, das sich jenseits konkreter Lebenszusammenhänge und Zugehörigkeiten denken kann.

Die ideologische Weltsicht der Islamisten kommt in den staatlichen Verlautbarungen gar nicht erst zur Sprache, oder aber sie deckt sich mit der des Staates - dann wird die Tat zum Akt der Verzweiflung einiger Verwirrter gedeutet, die angesichts der erdrückenden ausländischen Bedrohung in die radikale und irrationale Ecke getrieben wurden. So behaupteten die zwei nach dem Angriff auf das leere UN-Gebäude lebend Gefassten in einem TV-Geständnis ganz entsprechend der offiziellen Sprachregelung, ihr Grüppchen habe unabhängig und aus eigenem Antrieb heraus gehandelt und verstehe diese Aktion als Reaktion auf die Aggressionen der Länder der Ungläubigen, insbesondere Israels und der USA, gegen die Muslime in Palästina, Irak und anderswo. Der Staat verhält sich also inhaltlich nicht antagonistisch zur islamistischen Ideologie, zu dem er formell in Systemkonkurrenz steht.

Syrien kann dem Islamismus nicht inhaltlich gegenübertreten; zum Einen, weil es deutliche strategische Gemeinsamkeiten gibt, zum Anderen, weil der Terror schließlich auch vom Staat selbst protegiert wird, solange er sich nach außen richtet. Der Staat bietet exilierten Führern von Hamas und Islamischem Jihad Unterschlupf und unterstützt die schiitische Hisbullah-Guerilla im Libanon. All dies geschieht mit der Maßgabe, Syrien als Freundesland und Rückzugsraum zu betrachten und die Autorität des syrischen Staates niemals in Frage zu stellen. Syrien begibt sich mit dieser Taktik auf eine ähnlich gefährliche Gradwanderung wie ehedem Saudi-Arabien; es könnte seinen eigenen Untergang herbeizüchten. Ein nicht unwesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, dass sich das Feindbild der islamistischen Bewegung größtenteils mit dem des Regimes deckt, auch wenn die Islamisten andere Beweggründe für ihre Feindschaften vorbringen mögen. Dadurch gewinnt das Regime, oder wenigstens die strategische Allianz mit ihm, auch in deren Kreisen eine gewisse Reputation. Und so ergibt sich die zunächst verwirrende Situation, dass das wahhabitische Königshaus Saudi-Arabiens die al-Qaida fürchten muss, während die säkulare Militärdiktatur einer nach mehrheitlicher Auffassung häretischen Sekte in Syrien verschont wird. Diese Allianz bestimmt das syrische Verständnis vom Terror: Terroristen sind nach syrischer Diktion die militanten Feinde Baschar al-Assads, nicht etwa diejenigen, denen nach Musikverbot und Judenmord der Sinn steht.

In letzter Zeit mag der Eindruck aufkommen, die Allianz mit den Islamisten verliere ihren bloß strategischen Charakter. Es ist neuerdings zu beobachten, dass sich die Staatspropaganda vermehrt einer islamischen Diktion bedient. „Gott schütze dich, oh Syrien“ lautet der wohl verbreitetste patriotische Slogan heutzutage, und auch der Geburtstag des Propheten wurde in diesem Jahr erstmals offiziell gefeiert. Selbst staatliche Agitation im Sinne des politischen Islam ist nun vor nationalem Hintergrund möglich: im Zuge der Proteste gegen die dänischen Karikaturen konnte man über die Straße gespannte Nationalfahnen erblicken, die mit einem Aufruf zum Boykott dänischer Waren versehen waren. Die Regierung versucht, der islamistischen Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie sich dieser nicht nur auf realpolitischem, sondern auch auf propagandistischem Feld annähert. Das säkulare Regime lässt - ganz im Gegensatz zu früheren Zeiten - keinen Widerspruch zwischen Religion und Nation bzw. „Arabertum“ mehr gelten und demonstriert dies entweder durch bestimmte semantische Verschiebungen oder durch gezieltes politisches Ausspielen der islamischen Karte. Es beansprucht somit implizit und zaghaft erstmals auch religiöse Autorität. Doch Vermutungen, Syrien wandele sich auf diesem Wege zu einem religiösen Staat, sind abwegig. Baschars Flirt mit dem Islam ist rein taktischer Natur; er umarmt den Feind, den er nicht besiegen kann, und er nutzt den gemeinsamen politischen Nenner mit diesem. Insofern steht der demonstrative Kampf gegen islamistischen Terror zu dieser Strategie nicht im Widerspruch. Jemand erklärte es mir in Damaskus einmal so: „Wir sind gegen jede Form von Terrorismus, ob al-Qaida oder amerikanischer und israelischer Staatsterrorismus, aber: Hamas, islamischer Jihad und Hisbullah sind Befreiungsbewegungen gegen den Terror.“ Es ist diese antikoloniale Attitüde im Kampf der genannten islamistischen Gruppen, welche dem Baath-Regime, das sich selbst die antikoloniale Befreiung auf die Fahnen geschrieben hat, sowohl eine Übernahme der Rhetorik als auch bestimmte strategische Allianzen ermöglichen. Dagegen verleiht die nationale und territoriale Ungebundenheit des „global players“ al-Qaida und assoziierter Gruppen diesen eine gewisse Unbestechlichkeit und somit Unberechenbarkeit, die festen Allianzen kategorisch entgegensteht. Nichtsdestotrotz rangiert der „Schurkenstaat“ Syrien gewiss weit unten auf der Liste anschlagsrelevanter Ziele der al-Qaida.

Mehr Sorgen muss sich das Regime um den syrischen Arm der Muslimbruderschaft machen: ideologisch bestehen zwar kaum Differenzen zu Hamas und anderen, doch liegt der Schwerpunkt des Engagements der Brüder nicht im Kampf gegen den zionistischen Feind im Westen oder gegen den imperialistischen großen Satan im Osten. Sie streben den regime change im eigenen Land an - die Vertreibung der Ungläubigen von den Töpfen der Macht und die Restaurierung sunnitischer Vorherrschaft unter der Scharia. Ihre Auffassungen und ihre - neuerdings zunehmend von demokratieseeliger Rhetorik durchsetzten - Kommuniques werden begreiflicherweise nicht publiziert oder kommentiert, nur von ihren angeblichen Greueltaten (etwa 1982 in Hama!) oder ihren angeblichen Verschwörungsaktivitäten im Ausland wird berichtet. Sie sind echte Terroristen im syrischen Sinne, und in diesem Punkt kann sich das syrische Regime ausnahmsweise auch der Unterstützung durch die Vereinigten Staaten sicher sein – trotz der Rhetorik.

Monday, June 26, 2006

Adorno im Jemen

Neulich in der jemenitischen Tageszeitung as-Sabah (06.05.2006), von mir aus dem Arabischen:


Kritik am aufgeklärten Denken

Theodor Adorno (1903-1969) hatte schon von Jugend auf verschiedene Interessen in Bezug auf Literatur, Kunst und Philosophie, doch Philosophie und Musik beherrschten ihn fortwährend trotz seiner Bekanntheit als Philosoph der kritischen Frankfurter Schule. Einige sagen, dass seine Leistungen in der Musik- und Literaturkritik größer als in seinen philosophischen Werken seien, insbesondere seine Aufsätze über Wagner, Gustav Mahler, Schönberg, Kafka und Walter Benjamin. Für Adorno ergab sich eine Verbindung zur Musik über seine Mutter, die italienischer Abstammung und Opernsängerin war. Adornos Familie war wohlhabend, was ihm die Gelegenheit verschaffte, auf dem Gebiet der Musik seine Träume zu verwirklichen. Er erhielt bereits von klein auf Musikunterricht. Er studierte Philosophie, bis er 1924 die Doktorwürde mit einer Dissertation über den Philosophen Edmund Husserl erlangte.

Danach steigerte sich sein Interesse an der Philosophie sehr, bis er im Jahre 1931 mit einer Dissertation über den Philosophen Kierkegaard zum Professor wurde. Zu dieser Zeit begann er, sich einer Anzahl von bedeutenden Denkern anzunähern, z.B. dem Gesellschaftswissenschaftler Max Horkheimer, dem Psychoanalytiker Erich Fromm, dem Literaturkritiker Walter Benjamin und dem Philosophen Herbert Marcuse, die alle später mit ihm die so genannte Frankfurter Schule bildeten. Es gab intensive Bemühungen, die Philosophie voranzutreiben auf dem Weg, sie praktisch und direkt mit der Soziologie und der Psychoanalyse zu verbinden. Die Frankfurter Gruppe begann, an der Entwicklung der kritischen marxistischen Theorie zu arbeiten, die sich auf die zeitgenössischen Gesellschaften bezieht. Dieses Unternehmen leitete vorher Carl Grünberg, Professor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, das später zur Frankfurter Schule wurde. Die Machtergreifung Hitlers und der Nazipartei in Deutschland hatte negativen Einfluss auf die Schule und ihre Denker; sie zwang eine Reihe von ihnen zur Flucht ins Ausland. Sie reisten nach Genf und von dort aus in die Vereinigten Staaten. In dieser Phase arbeiteten Adorno und Horkheimer zusammen an der Abfassung des Buches "Dialektik der Aufklärung", das auf die Fragen, die der erbitterte Krieg aufwarf, eine Antwort zu geben versuchte.

Wie passte der Krieg mit der zivilisierten Menschheit zusammen, und warum ließ die Menschheit mit dem Krieg das Zeitalter der Aufklärung hinter sich? Später wurde das Buch zur wichtigsten Quelle der kritischen Frankfurter Schule. Adorno zeigte, dass die Aufklärung, wie Kant sagte, ein Werk des Verstandes ist, dass sie sich jedoch von der Befreiung des Menschen von Aberglauben und Mythos verwandelt in eine Beute der Kräfte des Marktes und der Gesellschaft, die das Individuum abschaffen und es in ein Zahnrad in der großen Produktionsmaschine umformen.

Adorno kritisierte die Philosophie der Aufklärung, weil Faschismus und Nazismus im Herzen des aufgeklärten Europa aufkamen und die ganze Welt in die Katastrophe führten. Dies weise darauf hin, dass die primitive Rückständigkeit und Barbarei eine Saat sei, die auf aufgeklärtem europäischem Boden fortwese. Dies sei passiert, weil sich der Verstand in ein Werkzeug in der Hand des ökonomischen Vorteils verwandelt habe. Adorno forschte nach seiner Rückkehr nach Deutschland nach den demokratischen Werten und den Gründen der Entstehung des autoritären Charakters und des blinden Glaubens an einen einzelnen Führer. Adorno konzentrierte sich auf die Frage, wie es dem modernen Menschen möglich sein könne, der tyrannischen Macht der Gesellschaft entgegenzutreten, ohne dabei seine Freiheit und Individualität zu verlieren. Erwähnenswert ist, dass die pessimistische Sichtweise hinsichtlich der Zukunft der Menschheit im Denken Adornos überwiegt. Dies stellte er in seinem Buch "Negative Dialektik" heraus, in dem er darauf hinweist, dass der Mensch aus der Unkultur stammt und dorthin zurückkehren wird und dass die Geschichte sich nicht von der Barbarei hin zur Menschlichkeit entwickeln wird, sondern vielmehr von der Schleuder hin zur Atombombe.

In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts erreichte Adorno den Gipfel seiner Berühmtheit und seiner Wirkung. Er kritisierte den Verfall der Kultur und ihre Verwandlung in Ware und Produkt heftig. In den 60ern kamen Tausende von Studenten an die Frankfurter Schule, um die Vorlesungen von Adorno zu besuchen, der ein "Nein" ausstieß angesichts der Macht des kontrollierenden Marktes.

Trotzdem behielt er eine ablehnende Haltung gegenüber den Studentenprotesten in Europa Ende der 60er Jahre; er sah sie als Werke des Pöbels an. Abschließend sei bemerkt, dass einige deutsche Forscher den Zusammenhang, den Adorno zwischen der Kulturtheorie und den Sozialwissenschaften aufspürte, nach wie vor als gegeben ansehen, und dass die Entwicklungen der letzten 30 Jahre die Richtigkeit seiner kritischen Ansichten bestätigen, ebenso wie seine originäre Deutung der Kulturindustrie. Die Kultur ist heute tatsächlich zur Industrie geworden, die bloß produziert, was die Masse konsumiert.


Adorno also im Kulturteil einer jemenitischen Tageszeitung. Die Rezeption ist etwas eigenwillig, und vielleicht, so viel mag man dem Autor zugute halten, ist die Unbeholfenheit der Beschreibung auch z.T. den Unbilden der sakral konservierten arabischen Sprache geschuldet.
Interessant ist natürlich, dass Auschwitz und Adornos Kategorischer Imperativ nicht erwähnt werden.
Interessant und für den arabischen Kulturraum geradezu kurios ist auch, dass sein Vater nicht erwähnt wird. Offensichtlich wollte sich der Autor also weder mit dem Antisemitismus im Allgemeinen noch mit der "jüdischen Seite" Adornos im Besonderen beschäftigen. Warum eine Reihe von Denkern der Kritischen Schule von den Nazis in die Emigration gezwungen wurde, bleibt dem Uneingeweihten damit rätselhaft.
Interessant und wahrscheinlich mit der genannten Tabuisierung des Antisemitismus zusammenhängend ist drittens, dass Adornos (Nicht-) Beziehung zu Gott nicht erwähnt wird, ein Faktum, das arabische Leser doch interessieren dürfte.
Was war nun die Motivation des unbekannten Schreibers? Traurige Vermutung: Adorno als Kronzeuge gegen die Dekadenz des Kulturbetriebs...