Monday, June 26, 2006

Adorno im Jemen

Neulich in der jemenitischen Tageszeitung as-Sabah (06.05.2006), von mir aus dem Arabischen:


Kritik am aufgeklärten Denken

Theodor Adorno (1903-1969) hatte schon von Jugend auf verschiedene Interessen in Bezug auf Literatur, Kunst und Philosophie, doch Philosophie und Musik beherrschten ihn fortwährend trotz seiner Bekanntheit als Philosoph der kritischen Frankfurter Schule. Einige sagen, dass seine Leistungen in der Musik- und Literaturkritik größer als in seinen philosophischen Werken seien, insbesondere seine Aufsätze über Wagner, Gustav Mahler, Schönberg, Kafka und Walter Benjamin. Für Adorno ergab sich eine Verbindung zur Musik über seine Mutter, die italienischer Abstammung und Opernsängerin war. Adornos Familie war wohlhabend, was ihm die Gelegenheit verschaffte, auf dem Gebiet der Musik seine Träume zu verwirklichen. Er erhielt bereits von klein auf Musikunterricht. Er studierte Philosophie, bis er 1924 die Doktorwürde mit einer Dissertation über den Philosophen Edmund Husserl erlangte.

Danach steigerte sich sein Interesse an der Philosophie sehr, bis er im Jahre 1931 mit einer Dissertation über den Philosophen Kierkegaard zum Professor wurde. Zu dieser Zeit begann er, sich einer Anzahl von bedeutenden Denkern anzunähern, z.B. dem Gesellschaftswissenschaftler Max Horkheimer, dem Psychoanalytiker Erich Fromm, dem Literaturkritiker Walter Benjamin und dem Philosophen Herbert Marcuse, die alle später mit ihm die so genannte Frankfurter Schule bildeten. Es gab intensive Bemühungen, die Philosophie voranzutreiben auf dem Weg, sie praktisch und direkt mit der Soziologie und der Psychoanalyse zu verbinden. Die Frankfurter Gruppe begann, an der Entwicklung der kritischen marxistischen Theorie zu arbeiten, die sich auf die zeitgenössischen Gesellschaften bezieht. Dieses Unternehmen leitete vorher Carl Grünberg, Professor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, das später zur Frankfurter Schule wurde. Die Machtergreifung Hitlers und der Nazipartei in Deutschland hatte negativen Einfluss auf die Schule und ihre Denker; sie zwang eine Reihe von ihnen zur Flucht ins Ausland. Sie reisten nach Genf und von dort aus in die Vereinigten Staaten. In dieser Phase arbeiteten Adorno und Horkheimer zusammen an der Abfassung des Buches "Dialektik der Aufklärung", das auf die Fragen, die der erbitterte Krieg aufwarf, eine Antwort zu geben versuchte.

Wie passte der Krieg mit der zivilisierten Menschheit zusammen, und warum ließ die Menschheit mit dem Krieg das Zeitalter der Aufklärung hinter sich? Später wurde das Buch zur wichtigsten Quelle der kritischen Frankfurter Schule. Adorno zeigte, dass die Aufklärung, wie Kant sagte, ein Werk des Verstandes ist, dass sie sich jedoch von der Befreiung des Menschen von Aberglauben und Mythos verwandelt in eine Beute der Kräfte des Marktes und der Gesellschaft, die das Individuum abschaffen und es in ein Zahnrad in der großen Produktionsmaschine umformen.

Adorno kritisierte die Philosophie der Aufklärung, weil Faschismus und Nazismus im Herzen des aufgeklärten Europa aufkamen und die ganze Welt in die Katastrophe führten. Dies weise darauf hin, dass die primitive Rückständigkeit und Barbarei eine Saat sei, die auf aufgeklärtem europäischem Boden fortwese. Dies sei passiert, weil sich der Verstand in ein Werkzeug in der Hand des ökonomischen Vorteils verwandelt habe. Adorno forschte nach seiner Rückkehr nach Deutschland nach den demokratischen Werten und den Gründen der Entstehung des autoritären Charakters und des blinden Glaubens an einen einzelnen Führer. Adorno konzentrierte sich auf die Frage, wie es dem modernen Menschen möglich sein könne, der tyrannischen Macht der Gesellschaft entgegenzutreten, ohne dabei seine Freiheit und Individualität zu verlieren. Erwähnenswert ist, dass die pessimistische Sichtweise hinsichtlich der Zukunft der Menschheit im Denken Adornos überwiegt. Dies stellte er in seinem Buch "Negative Dialektik" heraus, in dem er darauf hinweist, dass der Mensch aus der Unkultur stammt und dorthin zurückkehren wird und dass die Geschichte sich nicht von der Barbarei hin zur Menschlichkeit entwickeln wird, sondern vielmehr von der Schleuder hin zur Atombombe.

In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts erreichte Adorno den Gipfel seiner Berühmtheit und seiner Wirkung. Er kritisierte den Verfall der Kultur und ihre Verwandlung in Ware und Produkt heftig. In den 60ern kamen Tausende von Studenten an die Frankfurter Schule, um die Vorlesungen von Adorno zu besuchen, der ein "Nein" ausstieß angesichts der Macht des kontrollierenden Marktes.

Trotzdem behielt er eine ablehnende Haltung gegenüber den Studentenprotesten in Europa Ende der 60er Jahre; er sah sie als Werke des Pöbels an. Abschließend sei bemerkt, dass einige deutsche Forscher den Zusammenhang, den Adorno zwischen der Kulturtheorie und den Sozialwissenschaften aufspürte, nach wie vor als gegeben ansehen, und dass die Entwicklungen der letzten 30 Jahre die Richtigkeit seiner kritischen Ansichten bestätigen, ebenso wie seine originäre Deutung der Kulturindustrie. Die Kultur ist heute tatsächlich zur Industrie geworden, die bloß produziert, was die Masse konsumiert.


Adorno also im Kulturteil einer jemenitischen Tageszeitung. Die Rezeption ist etwas eigenwillig, und vielleicht, so viel mag man dem Autor zugute halten, ist die Unbeholfenheit der Beschreibung auch z.T. den Unbilden der sakral konservierten arabischen Sprache geschuldet.
Interessant ist natürlich, dass Auschwitz und Adornos Kategorischer Imperativ nicht erwähnt werden.
Interessant und für den arabischen Kulturraum geradezu kurios ist auch, dass sein Vater nicht erwähnt wird. Offensichtlich wollte sich der Autor also weder mit dem Antisemitismus im Allgemeinen noch mit der "jüdischen Seite" Adornos im Besonderen beschäftigen. Warum eine Reihe von Denkern der Kritischen Schule von den Nazis in die Emigration gezwungen wurde, bleibt dem Uneingeweihten damit rätselhaft.
Interessant und wahrscheinlich mit der genannten Tabuisierung des Antisemitismus zusammenhängend ist drittens, dass Adornos (Nicht-) Beziehung zu Gott nicht erwähnt wird, ein Faktum, das arabische Leser doch interessieren dürfte.
Was war nun die Motivation des unbekannten Schreibers? Traurige Vermutung: Adorno als Kronzeuge gegen die Dekadenz des Kulturbetriebs...

0 Comments:

Post a Comment

<< Home