Sunday, January 01, 2006

Syrien: fernab von allem



Die öffentlich zur Schau gestellten Bilder vom Diktator sind schon seit eh und je allgegenwärtig im baathistischen Syrien, ob als Krieger im Tarnanzug, den Spiegelsonnenbrillenblick entschlossen in die Ferne gerichtet, oder als Staatsmann, mit gemusterter Krawatte freundlich lächelnd. Wie einst der Vater Hafiz - monumentale Betondenkmäler im ganzen Land künden von seiner Größe - lässt auch Baschar al-Assad einen gewaltigen Kult um seine Person zelebrieren. Seine Portraits finden sich stadtweit auf illuminierten Werbetafeln, sie schmücken jede Art öffentlicher Gebäude, manchmal großformatig in Form eines Wandgemäldes oder Mosaiks, sie hängen obligatorisch in jedem Geschäft aus und zieren, meist in Form eines schwarz- oder silberfarbenen Reliefs und garniert mit dem Schriftzug „saut al-haqq“ („Stimme der Wahrheit“), die Heckscheiben vieler Autos (nur besonders Eifrigen dient auch die Frontscheibe als Loyalitätsausweis). Oft zeigen sie Baschar gemeinsam mit dem verstorbenen Vater, der als charismatische Gründerfigur leicht entrückt und doch mächtig und wachend den Hintergrund dominiert. Außerdem gesellt sich bisweilen der vorzeitig verstorbene, stets an Vollbart und Pilotenbrille erkennbare Bruder Basel hinzu, dem als Erstgeborenen eigentlich die Thronfolge gebührt hätte, oder aber der freundlich dreinblickende libanesische Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah, zu dem das Regime heutzutage ganz ungeniert sehr herzliche Beziehungen pflegt, komplettiert die Runde. Obendrein wird das Stadtbild geprägt durch ungemein viele Nationalfahnen, gepaart mit Fahnen des palästinensischen „Brudervolks“, Ausdruck der verordneten panarabischen und antiimperialistischen Gesinnung. Und der Sicherheitsapparat zeigt reichlich Präsenz: junge Soldaten mit museumsreifen Kalaschnikows streifen um ihre Wachhäuschen herum, sie langweilen sich vor ungezählten Ämtern, Ministerien, Verwaltungen, sonstigen öffentlichen Stellen und Wohnsitzen der Führungselite. PKWs des Geheimdienstes stehen auf Beobachtungsposten im Umkreis.

Der in Syrien unvermeidliche Anblick dieses Baschar al-Assad kann irritieren. Der große, dürre Mann um die 40 mit den Pausbäckchen und dem pubertär wirkenden, struppigen kleinen Schnurrbärtchen will so gar nicht an einen Bokassa oder Pinochet erinnern; er wirkt schüchtern, ein wenig ungelenk und insgesamt nicht übermäßig präsentabel. Doch auch wenn es heißt, der im Jahr 2000 in die Nachfolge seines Vaters Getretene sei eigentlich nur ein Gameboy-Junkie, so erfüllt er doch die ihm zugefallene Aufgabe mit einiger Verve und nicht weniger harter Hand. Aus Anlass seines Amtsantritts noch amnestierte er eine Handvoll politischer Gefangener und ermöglichte seinen Untertanen endlich den Zugang zu Internet und Satellitenfernsehen. Damit weckte er bei manchen Hoffnung auf „syrisches Tauwetter“; zwei Jahre später aber wanderten wieder viele ins Gefängnis, die versucht hatten, diese vermeintliche neue Freiheit zu nutzen. Die zaghaften Anfänge demokratischer Diskussionskultur (etwas großspurig „Damaszener Frühling“ genannt) wurden alsbald hinweggefegt und verschwanden vollständig von der Bildfläche. Das System kannte und kennt noch immer nur die Sprache der Gewalt. Der etwa einwöchige Aufstand der traditionell benachteiligten Kurden im Nordosten des Landes wurde gewohnt blutig niedergeschlagen, und andere Konflikte zwischen ethnischen oder religiösen Gruppen, etwa den Alawiten und Ismailiten im Nordwesten, wurden ebenfalls bloß militärisch erstickt. Öffentliche Diskussionen über zentrale Streitfragen darf es unter Baschar ebenso wenig geben wie unter Hafiz, der Geheimdienst ist omnipräsent wie die Insignien und Potentaten des Staates, und die interkonfessionelle sowie intertribale nationale Einheit wird wieder und wieder beschworen, als könne man sie herbeireden. Ob Baschar sich allerdings tatsächlich in der Position des unumstrittenen Führers und obersten Strategen befindet, die er nach außen markiert, oder ob er nurmehr als populäre, aber hohle dynastische Marionette der Militäraristokratie fungiert, die hinter ihm steht, muss offen bleiben.

Auf die jüngste Bedrohung des Regimes reagierte der Präsident freilich in dramatischer Weise. Seit der Veröffentlichung des Mehlis-Untersuchungsberichtes Mitte Oktober, betreffend die Umstände und Hintergründe des Anschlags auf den libanesischen Politiker und Geschäftsmann Rafiq Hariri, scheint eine neue Qualität nationalen Notstandes heraufgezogen zu sein.

Von nun an werden jeden Tag große Demonstrationen organisiert, teilweise landesweit in verschiedenen Städten. Die Botschaft lautet im Wesentlichen, der Bericht, der die Verwicklung höchster syrischer Kreise in den Mord aufzeigt, sei durch und durch politischer Natur, er entspräche nur den Interessen Amerikas und Israels. Detlev Mehlis wird der jüdischen Abstammung verdächtigt. Syrien demonstriert, dass es dem feindlichen Ausland trotzt: „Wir wehren uns gegen die Instrumentalisierung des Blutes von Hariri!“ heißt es auf Spruchbändern, und, die amerikanische Besetzung des Irak vor Augen: „Wir wollen unsere Demokratie, nicht eure!“. Zelte nach Beduinenart, nach vorn offen und ringsum fahnengekränzt, werden nun an großen Plätzen der Hauptstadt errichtet, sie erinnern an europäische Kundgebungen oder Mahnwachen. Davor schwenken Fahnenschwenker Fahnen und einige Tausend Watt schallen stampfend und dröhnend in den wolkenlosen Abendhimmel: „Ich bin Syrer bumm bubumm ich bin Araber bumm bubumm“. In einer Ecke des Zeltes finden sich vielleicht ein paar Jugendliche beiderlei Geschlechts bei Kerzenschein in trauter Runde auf Kissen und Teppichen hockend, ein wenig Zeltlagerromantik, womöglich kribbelnde Ahnung eines Hauchs von Freiheit inmitten der stumpfen Agitation, seltene Gelegenheit angesichts allgemein herrschender Prüderie. Sonst kein Mensch. Was von Fernem als machtvolle Manifestation gerechter Volkswallung erscheint, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Pappmaschee-Attrappe, sinnbildlich für so vieles in diesem Land. Hier, so scheint’s, kann Propaganda auf umfangreichere Anstrengungen verzichten, ihre Phantasien als Realität auszugeben. Sie wirbt vielmehr um eine Form von „Stammesloyalität“ gegenüber dem autoritären Apparat, welche nichts anderes als schlicht Gefolgschaft und Unterordnung bedeutet. Der Überzeugungskraft der Argumente kommt dem gegenüber nur sekundäre Bedeutung zu, denn der Unterwürfige übernimmt ohnehin jede Legende ungefragt. Die Fiktion erfindet sich ihr Bezugssystem, Märchenerzähler und Märchenliebhaber ergänzen sich in diesem Spiel vortrefflich. Und jeder kritische Gedanke ist aufgehoben bereits in der dissidenten Rhetorik des Systems: Amerika, dich hasst sich’s besser.

Aus Anlass der Demos werden nun Schüler, Studenten und staatliche Angestellte von Unterricht und Arbeit freigestellt. Wer vom Termin nichts weiß, der erfährt ihn vielleicht durch die offiziell gesendete SMS auf seinem Mobiltelefon. Für nationale Winkelemente und staatlich geprüfte Parolen und Transparente ist gesorgt; alles wird, so viel ist sicher, unter Kontrolle bleiben. Der Anteil der Geheimdienstschergen am Demonstrationsvolk ist schwer zu schätzen.

Die Propagandaoffensive erreicht ihren Höhepunkt mit der live im Fernsehen übertragenen Präsidentenrede am 10. November in der Universität Damaskus. Über eine Stunde lässt sich Baschar über die drohende Kolonialisierung Syriens aus, er zählt die Strategien der Feinde auf, fabuliert über Pläne internationaler Kreise und ihrer Agenten gegen Syrien und die Region im Allgemeinen, welche u.a. ursächlich für die undemokratischen Verhältnisse im Libanon seien (die Ergebnisse der letzten Wahlen dort waren nicht nach dem Geschmack Syriens), und beklagt die Verschlagenheit Israels im Besonderen, regelmäßig unterbrochen von der euphorisch klatschenden und bisweilen aufspringenden und Parolen skandierenden Bande von Notablen im Auditorium. Es folgt das Bild vom Bad in der begeisterten und natürlich Fahnen schwenkenden Menge. Tausende säumen den Luxuslimousinenkorso und drängen zum Führer, der einigen die Hand schüttelt. Dann geht die Fahrt schon los. Gerade sieht man noch, wie sich ein Geheimdienstler rücklings auf die Präsidentenmotorhaube wirft, um sogleich einige allzu Begeisterte brutal wegzutreten, von denen manch einer doch womöglich zum Kreise seiner Kollegen zählt.

Am nächsten Tag feiert die Presse die „Verschmelzung von Volk und Führung“ in großen Lettern. Die Kernaussagen dieser wahrhaft programmatischen Rede werden aufgelistet; man wird sie in den nächsten Tagen und Wochen wortwörtlich als Losungen auf Transparenten wiederfinden. In der darauf folgenden Zeit melden die Zeitungen, wie um zu beruhigen, wer angeblich oder tatsächlich fest und unverbrüchlich an Syriens Seite stehe: Russland, Libyen, Hisbollah, Bahrain, etc., doch nur im Falle der Hisbollah und der Führung des Iran ist wohl tatsächlich davon auszugehen. Das Titelfoto zeigt den Präsidenten häufig in bilateralen Gesprächen mit einem anderen Staatschef; man ist bemüht, nicht den Eindruck von internationaler Isolation aufkommen zu lassen, obgleich diese doch offenkundig ist. Auf den Straßen werden die Fahnen immer noch mehr, manche Plätze drohen im rot-weiß-schwarz zu ertrinken und auch Privatleute zeigen zunehmend Flagge. Manchmal läuft der Geheimdienst von Haus zu Haus, ersucht Zutritt zu den Wohnungen der Frontseite und bringt dort zahlreiche Fahnen an Fenstern und Balkons an. An zentralen Stellen wird schon mal eine riesige nationalfarbene Banderole vom Dach herabgelassen oder man spannt Fahnengirlanden quer über die Straße. Öffentliche Werbeflächen werden nun in großem Ausmaß requiriert, um das Bild Baschars immer und immer wieder zu zeigen. Auch bekannte Schauspieler preisen mit der wehenden Fahne hinter sich die Vaterlandsliebe. Statt der Werbung für italienische Gasherde (100% sicher) langweilt nun das Nationalbanner und ein „Gott beschütze dich, oh Syrien“ vorübergehende Passanten.

Dieses Fahnenmeer, soll es tatsächlich den vaterländischen Pathos beflügeln, oder vielleicht nur abstumpfen gegenüber aller Politik von „da oben“? Steckt tatsächlich eine allgewaltige Strategie hinter all dem, oder sehen wir hier nur die Eigendynamik eines Systems in der Krise, welches ideologisch auf die Macht des Volkes baut? Der Präsident erklärte in seiner Rede, die moralische Niederlage mache wenigstens die Hälfte, wenn nicht drei Viertel jeder realen Niederlage aus. Man setzt in Syrien, so viel ist überdeutlich, auf die Schlacht um die Köpfe, man misst der Medienpropaganda bis zur Besinnungslosigkeit größte Bedeutung bei. Ein Ausdruck dieser Anstrengungen war neulich die ausgiebige Präsentation des umgedrehten Zeugen Hussam Taher Hussam im syrischen Fernsehen. Auch bei dieser Geschichte stand wieder nicht die Überzeugungskraft an erster Stelle. Hussam, einer der Hauptbelastungszeugen der UNO-Untersuchungskommission im Fall Hariri, erklärte, er sei nach Syrien geflohen, um dem libanesischen Geheimdienst zu entgehen, der seine Aussagen vor der Kommission durch Folter und Betäubung erzwungen habe. Zudem habe ihn der Sohn Hariris für falsche Aussagen mit 1,3 Millionen Dollar bestechen wollen, was er jedoch abgelehnt habe. Hussam widerrief sämtliche seiner getätigten Aussagen. Wesentliches Detail dieser Inszenierung: Hussam ist Kurde. Kurdische Mitbürger konnten sich also in den darauf folgenden Wochen eines anerkennenden Schulterklopfens durch überzeugte Regimeanhänger gewiss sein; Hussam erbrachte einen weiteren unwiderlegbaren Beweis für die Existenz der nationalen Einheit.

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