Friday, December 28, 2007

Persilschein-Deutsche

Ein gewisser Stefan Herre zeichnet sich seit geraumer Zeit verantwortlich für den Blog PI („politically incorrect“). Jeden Abend sitzt er am Computer und zensiert die neu eingetroffenen Kommentare. Das ist Fleißarbeit, nicht nur weil sein Blog mittlerweile Millionen Klicks verzeichnen kann, sondern auch deshalb, weil hier die deutsche Volksseele sich im heimischen Wohnzimmer wähnt, in dem es sich ressentimentgeladenen Ergüssen hemmungslos hingeben kann, man ist ja unter sich. Das zu Streichende, denn Herr Herre möchte keinen Nazi-Blog betreiben, ist sicher zahlreich. Doch notwendig ist die Mühe, zum Einen wegen möglicher strafrechtlicher Konsequenzen, vor allem aber, um dem so erfolgreichen Konzept treu zu bleiben: der Koquetterie mit dem Politisch Inkorrekten, ohne die Grenze zum völkischen Wahn zu überschreiten. Der Blog sieht sich israel- und amerikasolidarisch und wendet sich gelegentlich gegen Homophobie.

In der guten Stube herrscht ein gutbürgerlicher Ton, der im Kommentarteil jedoch regelmäßig durch Ausfälle gegen die „teppichknutschenden Musels“ seine besondere, würzige Note erhält. Man hat sich versammelt, denn da draußen geht Ungeheuerliches vor: die „ständig rammelnden Kameltreiber“ werden nicht nur immer mehr, sondern auch immer dreister. So wie die, ist man sich einig, sollte sich kein Gast benehmen.

Statt als gewöhnlicher rassistischer Stammtischdeutscher kann sich der enthemmte Blog- oder Blogkommentarschreiber nun dank Herres Konzeption als progressiver Querdenker begreifen, der Tabuisiertes enttabuisiert, überflüssige (doch nota bene: wohl vorhandene) Schuldgefühle über Bord wirft, der durch solchen Befreiungsakt schließlich ganz zu sich findet. Als vorgeblicher Freidenker und Advokat der Freien Welt ist er doch bloß der Volksgemeinschaft verhaftet.

Auf PI regiert, was Adorno das „Ticketdenken“ nannte, ein so reflexionsloses wie reflexhaftes Denken in vorgefertigten Kategorien, das vor allem beim vorurteilsvollen Charakter häufig anzutreffen ist. PI ist eine Mitmachseite, die ihre Leser dazu auffordert, im Nachrichtenwald nach geeigneten neuen Projektionsflächen für ihren deutschen Verfolgungswahn zu stöbern, und ihnen im Erfolgsfalle den Ehrentitel „Spürnase“ zukommen lässt.

Dabei ist PI aus dem anerkennenswerten Gedanken heraus entstanden, für die in Gefahr geratenen Werte der Aufklärung einzustehen gegen archaische Tendenzen aus dem Islam, und sich dabei kulturrelativistischen Argumenten gegenüber unzugänglich zu zeigen. Die political correctness einer stets zum Verstehen bereiten und zum Dialog noch mit den schlimmsten Henkern auffordernden herrschenden Politik war und ist gewiss kritisierenswert.

Doch Herre und seine Gemeinde kritisieren den Kulturrelativismus weniger, um sich vorbehaltlos der Humanität, sondern eher, um sich tabulos den Vorbehalten widmen zu können. Sie haben tatsächlich keinen Begriff von der Aufklärung, deren Anfang vom Ende das Kollektiv ist, nicht nur im Islam. Denn das vorurteilsbehaftete Denken im starren Raster von Eigen- und Fremdgruppe negiert jeden Universalismus und führt in schlimmste Fahrwasser.

So werden auch Stefan Herres beste Vorsätze beständig von einem Teil seines Publikums untergraben, etwa der, Homophobie zu ächten. „willy“ schreibt am 28.11.07 angesichts vieler hetzerischer Postings resigniert: „PI sollte wirklich Kommentare zur Homosexualität vermeiden. Es ist allzu offensichtlich, dass viele hier darüber genauso denken wie irgendwelche Islamisten.“ Auch das Eintreten gegen Antisemitismus steht ständig unter Beschuss. „Ruud“ schreibt am 15.12.06, bezogen auf die erschreckenden Äußerungen des sächsischen Bundestagsabgeordneten Nitzsche: „Was ist falsch an dem Begriff Schuldkult? Nur weil ich auf Seitens Israels bin weigere ich mich den Berufsjuden vom Zentralrat einen Persilschein auszustellen. Bin ich da echt der einzige: Pro jüdisch - pro Israel, aber bitte lasst mich mit dem deutschen Schuldkomplex und diesem furchtbarem Zentralrat in Ruhe.“ (sic)

Wie schnell der Protest gegen die Multikulti-Gesellschaft auch eine antisemitische Komponente zeitigen kann, bewies der Frankfurter Eklat um Frau Eskandari-Grünberg im Rahmen eines dieser leidigen Moscheestreits. Sie wies auf das simple Faktum von 40% migrantischer Bevölkerung hin und schloss die Bemerkung an, wem das nicht passe, der müsse eben wegziehen. Die anschließend bei ihr eintreffenden Drohbriefe und Emails sowie Hasstiraden auf expliziten Nazi-Foren richteten sich nicht nur gegen sie selbst, sondern in besonderem Maße auch gegen ihren jüdischen Mann, zu dem ein regelrechter Steckbrief verfasst wurde. Auf PI wurde das mit keiner Zeile problematisiert.

Friday, August 10, 2007

„Wie bei Insekten“

In dem hier dokumentierten extrem antisemitischen Artikel aus der konservativen - und neben Ar-Rai größten - jordanischen Tageszeitung Ad-Dustur vom 15.07.2007 vertritt die Autorin die Position, die Sklaverei sei unendlich viel schlimmer gewesen als der Holocaust an den europäischen Juden. Sie präsentiert eine kreatives Potpourri aus antikolonialistischem und antisemitischem Affekt und hat sich damit gewiss für Durban 2009 qualifiziert.


Der Holocaust – und das Abschlachten der Sklaven

Leila al-Atrash

Auf der letzten Buchmesse im Senegal wurden Delegationen (ich war unter ihnen) zum Haus der Skaven auf der Insel Gorée vor Dakar geführt, um über die menschliche Tragödie zu informieren, verursacht durch die Tyrannei der Hautfarbe und die Versklavung der Schwarzen durch Weiße.

Redner der Weißen – aus Portugal, Holland, Süd- und Nordamerika, Frankreich und Großbritannien – entschuldigten sich nach der Reise für die Brutalität ihrer Sklavenhändler-Vorväter und brachten ihr Schamgefühl über das, was sie gesehen hatten, zum Ausdruck. Diese Schriftsteller kehrten in die Hallen zurück, nur um die Vertreibung eines jeden zu fordern, der den Holocaust der Nazis leugnet. Der Historiker David Irving versuchte nachzuweisen, dass der Holocaust der Phantasie der Juden entsprungen ist, um den Westen zu erpressen und die Errichtung ihres Staates auf Kosten der Palästinenser zu ermöglichen. Gesicherte historische Dokumente stützen seine These.

Warum schweigt der Westen von der Tragödie der Sklaven, die ungefähr vier Jahrhundete währte und mehr als 20 Millionen Afrikaner betraf, ihre Nachkommen nicht eingerechnet? Warum verurteilt man angesichts dieser zwei schrecklichen Ereignisse nur den Holocaust [hier wörtl. Verbrennung]? Und warum entschädigt man die armen afrikanischen Völker nicht, deren Menschlichkeit Tag für Tag verbrannt und aberkannt wurde, die ohne Erbarmen ausgebeutet und schlechter als Tiere behandelt wurden?

Das Haus der Sklaven auf der senegalesischen Insel Gorée zeigt schlimmere Greueltaten und Grausamkeiten als unter den Nazis. Seine Geschichte ist noch schwärzer und beschämender. Es gibt keine Bewohner mehr hinter seiner hölzernen Tür. Sie zogen aus ins Exil und Verderben, nachdem ihnen die Freiheit und das Leben geraubt wurde, Sklaven ohne Schuld, Zermalmte ohne Vergehen außer ihrer Hautfarbe, den Gewalttaten der Anderen ausgesetzt. Eine alte Tür, sie hat den Wellen und dem Wüten von Zeit und Raum standgehalten, sie öffnet und schließt sich jeden Tag, sie sieht das Exil, die afrikanische Tragödie und die Tyrannei von Menschen über die Menschheit, die Tür vom Haus der Sklaven auf der Insel Gorée im Senegal.

Weil sich in diesem Haus ein anderer Holocaust ereignet hat, der die Menschheit verbrannte, beschlossen die Senegalesen, ihr Schweigen zu brechen und das Gefühl der Erniedrigung und Minderwertigkeit zu überwinden. Sie berichteten vom Sklavenhandel und seinem Leid. Sie öffneten seine Tür für Besucher und erzählten die Geschichte. Obwohl es Schwarze in Nord- und Südamerika, Europa und den Karibischen Inseln gibt, was belegt, dass vom 16. bis zum 19. Jahrhundert 20 Millionen Afrikaner von den weißen Herren verkauft wurden, zweifeln einige Studien immer noch an der Geschichte der Schwarzen auf der einsamen Insel im Atlantik. Weder Europäer noch Amerikaner stehen auf und protestieren gegen die Fälschung der Wahrheit und Verleugnung der Geschichte. Sie klagen auch nicht diejenigen, die die barbarischen und schändlichen Taten ihrer Vorfahren leugnen, wegen Antihamitismus an, so wie sie es bei Antisemitismus tun (der jüdischen Thora zufolge sind die Afrikaner die Nachkommen des Ham). Die Afrikaner sind arm, sie sind Minderheiten und schwach. Sie haben kein Gesetz erlassen, um Forscher ihren wissenschaftlichen Rang aberkennen lassen zu können oder sie ihres Postens zu entheben, auch wenn sie sich dabei auf gesicherte oder bestätigte offizielle Dokumente stützen könnten. Anders verhält es sich beim Leugnen der Nazi-Verbrennungsöfen des „Holocaust“ 1933-1943 (sic), etwa bei Roger Garaudy und dem Historiker David Irving, denn die Juden sind die reichsten Leute der Welt und sie beherrschen die Medien und den Handel weltweit. Ihr Einfluss in internationalen Gremien ist unvergleichlich. Sie bemühen sich, den Schuldkomplex aufzublähen und ihn jedesmal zu aktivieren, wenn Israel ein Massaker, einen Holocaust am Recht der Palästinenser verübt und das Volk auspresst.

Niemand wird die Verrücktheit Hitlers bezweifeln, und dass die Juden dieser ausgesetzt waren, aber es ist eine Tatsache, dass die Juden jetzt das Geschehene aufblähen und verfälschen. Sie nutzen den Schuldkomplex, der sich vor allem bei den Deutschen gebildet hat, täglich aus. Nicht nur die Juden waren der Grausamkeit Hitlers ausgesetzt, und es war gewiss ein Verbrechen, das nicht hätte geschehen dürfen. Die Geschichte erzählt auch von einer Viertelmillion ermordeter Zigeuner und ebenso vielen Behinderten, die ermordet wurden, ungeachtet ihrer Nationalität, sogar Deutsche. Ebenso viele Slowenen, Sozialisten, Zeugen Jehovas und Homosexuelle wurden im Holocaust in ganz Europa ermordet. In Hitlers Gefängnissen starben drei Millonen russische Kriegsgefangene. Warum also diese Konzentration auf die Juden? Sind sie Gottes auserwähltes Volk, sind sie etwas Besonderes, wie sie glauben? Selbst die wenigen Filme, in denen die Zahl der mit Giftgas Behandelten genauer bestimmt wird, sagen nichts über die Nationalität der Opfer aus. Warum diese Konzentration auf die Juden, ohne andere zu berücksichtigen? Das Haus der Skaven auf der senegalesischen Insel Gorée ist schmerzhafter als der schnelle Mord. Der Holocaust beendete trotz seiner Häßlichkeit doch immerhin die Qualen seiner Opfer durch die Brutalität oder das Giftgas, wie bei Insekten. Die Qualen dauerten nicht lange, wie man in den Dokumentarfilmen sehen kann. Es kam zu völligem Wahnsinn. Bei den Sklaven hingegen waren die Qualen lang von dem Augenblick, als man sie entführte und ihren Wurzeln und ihrer Heimat entriss, ihnen Ketten um den Hals und die Handgelenke legte, sie ins Haus der Sklaven in den Senegal brachte und sie dann als Sklaven in die Welt verkaufte. Die Männer wurden in eine Zelle von 2,5 x 2,5 Metern gezwängt. Einmal am Tag konnten sie raus, in Eisen gelegt, um ihre Notdurft zu verrichten. Sie wurden pro Kilo verkauft. Wessen Gewicht unter 60 Kilogramm fiel, der wurde gezwungen, zu essen, um fetter zu werden. Nachdem sie an einen Herren verkauft worden waren, erniedrigte dieser sie auf verschiedene Arten. Er machte sie ihr Leben lang dienstbar für anstrengende Arbeiten und entlohnte sie nicht.

Bei den Frauen bestimmte die Größe der Brüste, Schüchternheit und Jungfräulichkeit den Preis. Die Frau verlor ihre Unschuld an einen Weißen. Wenn eine Frau vor dem Verkauf nicht schwanger wurde und ein weißes Kind gebar, ließ man sie zurück. Sie musste auf der Insel leben und sich an Piraten und Seefahrer verkaufen. Die geborenen schwarzen Kinder wurden behalten, um sie als Sklaven zu verkaufen. Die Sterberate unter den Kindern im Haus der Skaven war die höchste, die es jemals in der Menschheitsgeschichte gegeben hat. 1779 breitete sich ausgehend vom Haus der Sklaven und aufgrund der unmenschlichen Bedingungen dort die Pest aus und tötete bald jede Menschenseele auf der Insel.

Warum verlangt Afrika keine Entschädigung für das, was ihnen über lange Jahrhunderte hinweg angetan worden ist, wie dies die chinesischen und philippinischen Frauen getan haben, die gezwungen worden waren, für das japanische Militär als Prostituierte zu arbeiten? Und warum schweigt die Welt über einen Holocaust, der nicht zehn Jahre, sondern Jahrhunderte gedauert hat und in dem die afrikanische Menschheit verbrannt wurde – täglich und lebenslang, schuldlos bis auf ihre schwarze Hautfarbe? Sie übertrugen ihre Dienstbarkeit auf ihre Kinder, bis das Gewissen Abraham Lincolns erwachte und er einen Krieg um die Befreiung der Sklaven begann.

Gibt es einen Holocaust für jedes Volk und zu jeder Zeit und an jedem Ort? Und warum lässt die Welt es zu, dass die Juden ihre Qualen, die niemand leugnen will, ausnutzen? Sie blähen sie auf, um ihre Agressionen zu rechtfertigen und vom Opfer zum erbarmungslosen Henker zu mutieren.

Thursday, August 09, 2007

„Kritik an Israel ist kein Tabu“

Eine Ausstellung mit dem durchaus ansprechenden Titel "Antisemitismus? Antizionismus? Israelkritik?" wird zur Zeit im Lichthof des Auswärtigen Amtes gezeigt. Das Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin bereitete in Kooperation mit Yad Vashem diesen Themenkomplex entsprechend auf. Die Fragezeichen im Titel deuten es an, hier werden Fragen gestellt. Aber welche?

Begrüßt wird der Besucher von einer trockenen, geist- und seelenlosen OSZE-Definition dessen, was der Antisemitismus sei. "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die man als Judenhass bezeichnen kann." Donnerwetter, denkt man bei sich, doch es kommt noch besser. Schon verschwindet hinter dieser 'Wahrnehmung von Juden' das Subjekt, damit ja niemand der Idee verfallen möge, leibhaftige Antisemiten steckten hinter dem verflixten Antisemitismus: "Antisemitismus wirft Juden häufig eine Verschwörung zum Schaden der Menschheit vor. Er macht Juden für alles verantwortlich, 'was fasch läuft'." usw. Der lexikalische Jargon führt zu Blüten wie „Als Antizionismus verstehen wir hier eine spezielle Form des Antisemitismus [...]“. Offen bleibt, wo sie etwas anderes darunter verstehen.

Dieser analytisch-dämliche Tonfall zieht sich durch die Ausstellung. Wir bekommen reichlich antisemitische Hasspropaganda aus verschiedenen Ländern und Zusammenhängen zu sehen, unter der jeweils steht, dass es sich dabei um antisemitische Hasspropaganda handelt.

Wenn man das nach vielen Tafeln wirklich verstanden hat, kommt die entscheidende Frage: Wie mach ichs richtig, ohne als Antisemit dazustehen? Auf drei Tafeln, unter der Überschrift „Kritik an Israel ist kein Tabu – Es ist problemlos möglich, die israelische Politik zu kritisieren, ohne dass in den Aussagen antisemitische und antizionistische Klischees verwendet werden.“, man beachte wieder das fehlende Subjekt, sind etwa ein Dutzend Zeitungskommentare zu lesen, die zwar auch mit Israel hart ins Gericht gehen, aber, jedenfalls nach Ansicht der Ausstellungsmacher, nicht antisemitisch sind. Wo schaut man nach, wenn man nichts falsch machen will? Richtig, zuerst mal bei den Juden selbst (Haaretz, Jedioth Achronot), denn, das ist ja klar, die können schon mal gar nicht antisemitisch sein. Dann greifen wir aber auch auf Beispiele aus FAZ und Spiegel zurück, denn wir wollen zeigen: auch du als Deutscher kannst das!

Die Ausstellung möchte offensichtlich einerseits eine Anleitung für koschere Israelkritik sein, andererseits mit drastischen Exempeln abstumpfen gegen die Nuancen, die eben nicht mit positivistischem Wortgeklimper zu greifen sind, sondern sich genau darüber, quod erat demonstrandum, perpetuieren. Der Betrachter dieser Ausstellung lernt, wie viele Verrückte es gibt auf der Welt, ja auch in Deutschland, und erlangt im gleichen Moment die wohl tuende Gewissheit, dass er nicht zu ihnen gehört, weil er es schließlich besser machen kann.

Saturday, April 21, 2007

Frauenrechte gegen Israel oder: Die UNO und die Juden

Das zentrale politische Organ der UNO in Frauenfragen ist seit 1946 die Commission on the Status of Women. Hier, sollte man meinen, werden Frauenrechtsverletzungen, wie sie etwa in Iran, Sudan, Saudi Arabien oder Pakistan an der Tagesordnung sind, verhandelt. Doch ach - der Name dieser Kommission, er ist nur hehrer Schein - tatsächlich ist hier eine Commission on Exploiting Women’s Issues to Denounce Israel am Werk. Nicht eine einzige Zusammenkunft fand statt (jedenfalls soweit mir nachprüfbar, mindestens seit 1992), auf der Israel nicht im Zentrum der Kritik gestanden hätte.
Wie man den Bogen von Frauenrechten zur Agitation gegen Israel schlägt? Ganz einfach: man heuchelt Sorge um die Situation der palästinensischen Frauen unter dem “Besatzungsregime”. (ganz klar: gäbe es Israel nicht, die Unterdrückung der Frauen in den palästinensischen Gebieten wäre längst Geschichte.)
Im diesjährigen (pakistanischen!) Resolutionsentwurf heißt es u.a.:
“Concerned about the grave situation of Palestinian women in the Occupied Palestinian Territory, including East Jerusalem, resulting from the severe impact of ongoing illegal Israeli settlement activities and the unlawful construction of the wall in the Occupied Palestinian Territory, including in and around East Jerusalem, as well as the severe consequences arising from Israeli military operations on and sieges of civilian areas, which have impacted detrimentally their social and economic conditions and deepened the humanitarian crisis faced by them and their families,
[…]
Reaffirms that the Israeli occupation remains a major obstacle for Palestinian women with regard to their advancement, self-reliance and integration in the development planning of their society;
[…]
Calls upon Israel to facilitate the return of all refugees and displaced Palestinian women and children to their homes and properties, in compliance with the relevant United Nations resolutions;” u.s.w. u.s.f.

“Hijacking of just another U.N. body”, so urteilt Anne Bayefsky, die sich schon seit vielen Jahren mit dem obsessiven Israelbashing der UNO beschäftigt, über dieses fortgesetzte skurrile Schauspiel. Auch die erbärmliche Rolle Deutschlands beim jüngsten Konvent lässt sie nicht unerwähnt.

Sunday, November 19, 2006

Freundschaft auf Deutsch

25 Politologen, Soziologen und Orientalisten fordern in einem „Manifest der 25“ unter dem Titel „Freundschaft und Kritik“, einen Schlussstrich unter das ‚Besondere’ in den deutschen Beziehungen zu Israel zu ziehen. Sie gehen dabei altbekannte Pfade.

Deutschland habe sich, so charakterisieren sie dieses ‚Besondere’, „angesichts der Ungeheuerlichkeit des Holocaust und der prekären Lage Israels uneingeschränkt für Existenz und Wohlergehen dieses Landes und seiner Bevölkerung einzusetzen, unter anderem durch Lieferung von staatlich geförderter hochwertiger Waffentechnologie auch dann, wenn Israel gegen internationales Recht und die Menschenrechte verstößt und sich im Kriegszustand befindet“. Die VerfasserInnen des ‚Manifests’ sehen Ihre Mission offensichtlich im Auslösen eines feuilletonistischen Volkssturms auf die ‚Auschwitzkeule’, die, wie sie meinen, der deutschen Nahost-Politik beständig droht.

Doch der Spannungsbogen erweist sich schon am Anfang als Rohrkrepierer, denn die drei Fragestellungen, denen die kritischen Geister in ihrem Manifest auf den Grund gehen wollen, erübrigen expressis verbis die Antworten: „1. Ist es angemessen und sinnvoll, die "freundschaftliche Beziehung" - und das soll sie nach Auffassung der Autoren bleiben - weiterhin als "besondere" im angedeuteten Sinne zu pflegen? 2. Steht Deutschland aufgrund des Holocaust wirklich nur bei Israel in der Pflicht im Nahen Osten? 3. Und was bedeutet es für den binnendeutschen Diskurs, für die Beziehungen zwischen nicht-jüdischen, jüdischen und muslimischen Deutschen, wenn diese beiden Fragen ernsthaft gestellt werden?“ Nun ja, dann könnte tatsächlich der vertraute antisemitische Stallgeruch aufkommen. Vor der Beantwortung der ‚Fragen’ schwören die AutorInnen also noch einmal Stein und Bein, „dass angesichts der weltweit historischen Einzigartigkeit des Holocaust […] besonderer Zurückhaltung und besonderer Sensibilität […] nichts von der Verpflichtung entbinden […] religiösen Antijudaismus und dem ethnisch oder/und rassistisch motivierten Antisemitismus entschieden entgegenzutreten […]“. Schamlos ausgefeilt kommt letztere Definition daher, soll sie doch jeden israelbezogenen, ‚antizionistischen’ Antisemitismus, und sei er noch so mörderisch, sorgfältig umschiffen.

Die AutorInnen geben sich anlässlich der Beantwortung der ersten Frage als aufrichtige Freunde Israels aus, die eine „tragfähige“, wahlweise auch „belastungsfähige“ Freundschaft entwickeln möchten, „in der auch Kritik in unterstützender, nicht abwertender Absicht ihren Platz hat“. Leider haben die Israelis keinen Begriff von solch deutscher Freundschaft. Sie denken immer gleich, sie werden abgewertet. Sie verstehen einfach nicht, dass „Freunde oder Freundinnen einander aus Sorge um das Wohlergehen des anderen auch vor Fehlern, Fehlentscheidungen und Fehlhaltungen warnen“. Sie glauben partout, sie wüssten selbst am Besten, was ihrer Sicherheit dient. Die Masche - nennen wir sie Derehrlichefreund - ist uralt. Sie ist langweilig und sie ist weinerlich. Neben Israel wird sie bezeichnenderweise ausschließlich gegenüber den USA vorgebracht.

Die zweite Frage führt die VerfasserInnen zur Thematisierung der „deutschen Verantwortung für Palästina“, das unter der „Auslagerung eines Teils der europäischen Probleme in den Nahen Osten“ – sprich: dem Judenproblem - bis heute zu leiden habe. Der Holocaust habe unendliches Leid über die Palästinenser gebracht, und er sei außerdem für die brutale Besatzungspolitik der Israelis wie auch für die materielle und politische Rückendeckung der USA verantwortlich. Israel und alles damit in Zusammenhang zu bringende Übel ist solcher Anschauung zufolge via Holocaust eigentlich von Deutschen fabriziert worden, was diesen folgerichtig eigentlich die Aufgabe auferlegte, das Übel zu beseitigen. So weit wollen die AutorInnen nicht gehen. Aber es liege in deutscher Verantwortung, dass Palästina „kein Homeland, kein zerstückeltes Bantustan“ bleibe - man beachte die plumpen Hinweise auf Apartheid, ohne das Wort selbst zu nennen. Die AutorInnen täuschen auch bei diesem Anliegen die Sorge um das Wohlergehen Israels vor - jedoch nicht ohne gleichzeitig eine leise Drohung zu zischen - wenn sie erklären, nur mit zufriedenen Nachbarn könne Israels Sicherheit auf Dauer gewährleistet werden.

Der Konflikt wird, in einige Neutralitätsrhetorik („beide Seiten gerecht werdende deutsche Haltung“) eingebettet, wie folgt dargestellt: auf der einen Seite „die militaristischen Gruppen der Palästinenser und die Hizbullah mit ihren Raketenangriffen und den fortgesetzten Selbstmordattentaten“, auf der anderen Seite „völkerrechtswidrige Fortsetzung und der massive Ausbau der israelischen Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten seit 1993, dem Zeitpunkt des Oslo-Abkommens, die willkürliche Zerstörung von Häusern, Gärten, Olivenhainen, Infrastruktur, die täglichen Demütigungen der Palästinenser und schließlich die de facto-Annektion von etwa 10 Prozent des Westjordanlandes mittels einer "Zaun" genannten, in Teilen acht Meter hohen Mauer“. Man beachte den verniedlichenden Begriff „militaristische Gruppen“. Man beachte auch die perverse Logik der Gleichsetzung - hier die Selbstmordbomber, dort der israelische Staat – die selbst doch nur zum Schein formuliert wird.

Schließlich wollen die VerfasserInnen den „binnendeutschen Diskurs“ untersuchen. Nach pflichtschuldigem Bedauern über nach wie vor vorhandenen Antisemitismus in Deutschland wird ein vollkommen missverstandener Adorno gegen den „problematischen Philosemitismus“, der schließlich den Antisemitismus eher stärke als schwäche, in Stellung gebracht. Denn ‚Israel-Kritiker’ wissen: Kronzeugen sind wichtig und sollten jüdisch sein. Was die Zitierten mit dem Zitat gemeint haben oder ob sie überhaupt etwas gesagt haben, ist gleich. Einige Zeilen weiter wird wiederum Adorno, diesmal gleich gemeinsam mit anderen jüdischen Intellektuellen, die sich auch nicht mehr wehren können, als posthumer Kronzeuge für fragwürdiges Wortgeklingel angeführt.

Dass dieses niveauarme Pamphlet von der gesellschaftswissenschaftlichen Elite dieses Landes herausgegeben wurde, ist so unfassbar wie bezeichnend für die hiesige Wissenschaftslandschaft, in der ein entsprechender Geist leider hegemonial ist. Unter den Autoren finden sich einige seit Jahren einschlägig bekannte ‚Israel-Kritiker’ und Terror-Apologeten, so etwa der Direktor des Deutschen Orient-Institutes, Prof. Dr. Udo Steinbach, oder der Philosophieprofessor Dr. Georg Meggle, die ihr berufliches Selbstverständnis offenbar mehr in der Hasspredigt als in der wissenschaftlichen Arbeit gefunden haben. Als Lehrmaterial und zur Dokumentation von Argumenten und Mechanismen eines modernen, auf Antizionismus beruhenden Antisemitismus kann dem Text vielleicht dennoch eine aufklärerische Funktion abgerungen werden, denn alle wesentlichen Elemente finden sich hier gebündelt wieder.

Thursday, September 28, 2006

Weibliche Genitalverstümmelung im Lichte des Islam

Europäische Muslime und Islamwissenschaftler verbreiten gern die Mär, weibliche Genitalverstümmelung fände im Islam weder Grundlage noch Rechtfertigung. Das mag als normative (Gegen-)Setzung von sehr ehrenwerter Absicht getragen sein; den Muslimen sei im innerislamischen Diskurs daher kein Vorwurf zu machen. Wissenschaftlich-analytisch betrachtet ist das Unsinn. In vielen ländlich geprägten Gegenden regiert das rostige Küchenmesser noch unangefochten und natürlich samt islamischer Legitimation. Und auch in eher städtischem Umfeld setzt erst langsam ein durch westliche Wertmaßstäbe beförderter Bewusstseinswandel ein. In diesem Kontext ist folgender Text aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft zu sehen. Hier wird religiös gegen die „Beschneidung“ von Frauen argumentiert, ohne damit aber einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung über das Thema das Wort reden zu wollen. Der Autor bemüht sich sehr, die Position, dass „Beschneidung“ im Islam nicht vorgeschrieben sei, zu untermauern. Gleichzeitig propagiert er kulturelles laissez-faire, um die umma (Gemeinschaft der Gläubigen) nicht zu spalten - eine der größten Sorgen der Islamgelehrten seit jeher.

[Abschließend noch eine sprachliche Anmerkung: Bei der Übersetzungsarbeit erweist es sich immer wieder als Schwierigkeit, zwischen Zitat und proklamierter Aussage des Autors zu unterscheiden, d.h. Zitiertes und in eigener Sache Gesprochenes verfliesst oft ineinander und ist allenfalls sinngemäss, jedoch nicht grammatikalisch zu trennen. Möglicherweise liegt auch in dieser manifesten Unkenntnis (oder Ablehnung) der Zitattechnik eine Ursache für die Missverständlichkeit päpstlichen Zitierens in der arabischen Welt.]


aus: islamonline 25.07.2006

Beschneidung von Frauen - zwischen Erlaubtem und Verbotenem

Masud Sabri **

Es ist erstaunlich, dass, immer wenn das Thema Beschneidung zur Sprache kommt, großer Streit entsteht und die Emotionen hochkochen. Es ist, als ob die Sache der Beschneidung ein Fall für das jüngste Gericht wäre und als ob sie unantastbar wäre. Wir wollen die Angelegenheit nicht kleinreden, aber man muss sie doch einordnen und sie entsprechend der korrekten Überlieferungen diskutieren, im [religions-]gesetzlichen sowie im gesellschaftlichen und medizinischen Rahmen.

Man kann die Angelegenheit der Beschneidung aus mehreren Blickwinkeln betrachten: dazu gehört die Sharia-Perspektive, die grundlegend für dieses Thema ist, und die ärztliche Perspektive, die bedeutsam für die Entwicklung einer Sharia-Position ist, indem sie ergänzend und klärend wirkt. Genau das sagten einige Gelehrte: „Gott der Erhabene hat zwei Bücher: das sichtbare Buch und das gelesene Buch. Das sichtbare Buch ist die Existenz der Wissenschaften, des Lebens u.a., und das gelesene Buch, welches das Wort Gottes des Erhabenen, der ehrwürdige Koran, ist. Es ist selbstverständlich undenkbar, dass es Widersprüche zwischen den beiden Büchern geben könnte, deren Urheber doch Gott der Erhabene ist.“

Hinzu kommt die gesellschaftliche Dimension, besonders bei Fragen, in denen man nicht übereinstimmt oder bei Fragen, die sich um die Beurteilung von Zulässigkeit drehen. Man soll ein Volk nicht missbilligen, weil es einen Brauch praktiziert oder nicht praktiziert, solange die Gemeinschaft, die in ihm lebt, darin übereinstimmt. Wichtig ist, dass es keine Unterschiede in der Gesetzgebung gibt und dass die Menschen sich auf das Passendste einigen. Sie sollen sich dabei an den Auffassungen der Rechtsgelehrten aller Zeiten und Orte orientieren. Diese haben die Rechtsfindung und ihre praktische Umsetzung mit Hilfe der Instrumente der Sharia in Übereinstimmung gebracht. Sie zogen sowohl den medizinischen als auch den gesellschaftlichen Kontext mit in Betracht, denn beide deuten und erläutern die Wahrheit des Sharia-Urteils. Grundlage eines Sharia-Urteils über eine Sache ist ein klarer rechtlicher Hinweis (in den Quellen, d. Übers.). Wenn diese Klarheit fehlt, wird das Urteil auf Basis der Rechtsfindung eines jeden Einzelnen gefällt.

Urteil über die Beschneidung

Schauen wir uns das Urteil über die Beschneidung an, so finden wir die Rechtsgelehrten gespalten in dieser Frage.

Der Erste: Beschneidung ist sunna (wünschenswert) für Männer wie für Frauen

Der Zweite: Beschneidung ist Pflicht für Männer wie für Frauen

Der Dritte: Beschneidung ist Pflicht für Männer und eine ehrenvolle Tat für Frauen

Der Vierte: Es gibt kein Urteil über die Beschneidung. Sie ist weder Pflicht noch empfehlenswert. Ibn Qudama überlieferte die Worte Hassan al-Basris:“Wenn jemand Muslim wird, ist es gleich, ob er beschnitten ist.“ Er sagte: “Es bekehren sich Schwarze und Weiße zum Islam. Untersucht niemanden von ihnen und beschneidet sie nicht.“ Dem Abraten Ibn Qudamas und den Urteilen von Gelehrten zufolge muss ein Junge nicht beschnitten werden, wenn er Angst hat.

Beim Gespräch der Rechtsgelehrten bestand Einigkeit darüber, dass die Beschneidung von Jungen getrennt von der Beschneidung von Mädchen zu behandeln ist. Hier findet die unterschiedliche Beschaffenheit dessen, was abgeschnitten wird, Berücksichtigung. Bei der Beschneidung eines Jungen wird die Vorhaut, die die Eichel bedeckt, abgetrennt, so dass die Eichel komplett freiliegt. Bei der Frau schneidet man die Haut über der Klitoris, die über dem Harnausgang liegt. Die Rechtsgelehrten verbieten, irgendetwas darüber hinaus wegzuschneiden, um der Frau keinen Schaden zuzufügen. Sie weisen damit auf schlechte Bräuche bei der Beschneidung von Mädchen hin, die einige unwissende Männer und Frauen praktizieren. Sie machen damit aus der Beschneidung eine Folter für das Mädchen. Das meinen auch die Ärzte, die zur Unterlassung dieser Praktik auffordern. Auch die Rechtsgelehrten erklären, sie sähen es als wünschenswert an, dass nur wenig bei der Frau weggeschnitten werde und dass beim Schneiden nicht übertrieben werde.

Diese Position deckt sich mit der ärztlichen Sicht, nach der bei der Beschneidung von Männern nur überschüssige Haut entfernt wird, während es sich bei der Frau um einen körperlichen Eingriff handelt. Aus diesem Grund lehnen viele Ärzte die Beschneidung von Frauen ab, denn was ihnen damit genommen wird, ist nichts Überschüssiges.

Es gibt viele Ärzte, die sagen, dass die Beschneidung der Frau schade. Doch wir finden auch einige, die diese Verallgemeinerung ablehnen. Die Beschneidung, die man als Sharia- Beschneidung kenne, unterscheide sich von der, die viele Menschen durchführten. Bei ihr gebe es keinerlei Schaden für die Frau.

Legitimität der Beschneidung

Die Behauptung, es gäbe keine Hinweise auf die Legitimität der Beschneidung von Frauen, ist nicht richtig. Ebenso wenig ist es richtig, von einer Pflicht zu sprechen. In einem gesunden (korrekt überlieferten, d. Übers.) Hadith heisst es: „Wenn zwei Beschnittene zusammenkommen, müssen sie sich waschen“. Dieses Hadith weist auf die Tatsache hin, dass auch die Frauen beschnitten waren, doch es findet sich nichts darin, das auf eine Pflicht dessen hindeutet. Eine Pflicht ließe sich nur mit einem Hinweis auf das Schneiden begründen. Es gibt einige andere Hadithe, wie das Hadith der Umm Atia Radillah: „Eine Frau führte in Medina Beschneidungen durch. Der Prophet (sas) sagte zu ihr: Übertreibe es nicht, denn das macht die Frau vorteilhafter und es ist vom Ehemann bevorzugt“. Der Imam Al-Shafii erwähnte es und der Überlieferer Abu Dawud erzählte das. Das Urteil Abu Dawuds darüber ist überliefert. Er sagte: „Aber er sagte: nicht mit Gewalt“. Es ist bekannt, dass die Schafiiten diejenigen sind, die von einer Beschneidungspflicht für Frauen sprechen. Gleichzeitig überliefert einer ihrer größten Gelehrten ein Hadith, in dem es heisst: nicht mit Gewalt. Zeitgenössische Überlieferer haben dort Korrekturen vorgenommen, doch sie können ebenfalls keine Beschneidungspflicht herauslesen, sondern bloß Hinweise auf die Existenz von Beschneidung erkennen.

Das verweist auch auf das Werk Abrahams (Friede auf ihm). Der Herr sprach: „Dann gaben wir dir ein, dass die religiöse Gemeinde Abrahams rechtgläubig war.“ Und es entstand eine große Diskussion unter den Rechtsgelehrten: Folgen wir Abraham in allem was er tut, oder folgen wir dem, was in unserem Gesetz steht? Das heisst, dass bezüglich dieses Hinweises nicht unter allen Gelehrten Übereinstimmung herrschte.

Den Fehler, den die Islamgelehrten machen, wenn sie die Beschneidung für legitim erachten, vermittelt der Imam Ibn Taymiyya in seinen Fatwas: Das Beabsichtigte bei der Beschneidung des Mannes ist die Säuberung der unter der Vorhaut sich ansammelnden Unreinheit. Das Beabsichtigte bei der Beschneidung der Frau ist eine Anpassung ihrer Lust. Denn wenn sie Vorhäute haben, ist ihre Lust heftig. Und wenn bei der Beschneidung übertrieben wurde, ist die Lust der Frau zu schwach. Dann hat der Mann an seiner Frau nicht den vollen Genuss, wenn er sie liebt. Wenn man der Frau wenig wegschneidet, erhält man das beabsichtigte Mittelmaß. Jedoch ist das Wort Ibn Taymiyyas eine Auslegung und kein rechtliches Indiz. Die Gelehrten klassifizierten folgendes Hadith als schwach (also wohlmöglich falsch): „Beschneidung ist sunna (wünschenswert) für Männer und eine ehrenvolle Tat für Frauen“.

Aufruf zum Nachdenken

Das heisst für uns in der Frage der Beschneidung Folgendes:

1) Es ist nicht möglich, von einer Beschneidungspflicht zu sprechen, denn nur solches ist eine Verpflichtung für die umma, auf das es einen Hinweis (in den Schriften, d. Übers.) gibt

2) Die Rechtsgelehrten unterscheiden bei der Beschneidung zwischen Männern und Frauen. Sie erkennen die Gefahren der Beschneidung bei Frauen und die Notwendigkeit, einerseits eine Art von Mittelmaß zu wahren, um der Frau nicht zu schaden, und andererseits die unwissenden Frauen an der Durchführung dieser Operation zu hindern. Es ist unumgänglich, sie unter vertrauenswürdiger ärztlicher Aufsicht durchzuführen, damit wir unseren Töchtern nicht schaden und ihre Gesundheit bewahren, so dass sie nicht sexuell frigide werden und wir uns mehr geschadet als genützt hätten.

3) Wenn die Beschneidung schädlich ist und wenn sie nicht notwendig ist, wenden wir sie nicht an, weder an Jungen noch an Mädchen. So sagte es Imam Ahmad, Hassan al-Basri und andere Imame. Gott der Allmächtige wende schaden von den Muslimen ab und erlaube den Muslimen nicht, sich selber Schaden zuzufügen.

4) Man kann die Hadithe unterscheiden in solche, die Beschneidung als existent zeigen und solche, die sie als nicht existent zeigen, obwohl sie wünschenswert ist. Das ist zurückzuführen auf Sitten und Gebräuche. Und wenn man die Umgebung in Betracht zieht, dann ist eine heiße Umgebung nicht mit einer kalten zu vergleichen. Der Imam Ibn al-Haaj hat in seinem Buch „der Eingang“ diese Bedeutung erfasst. Er erwähnt, dass es „einen Unterschied im Recht bezüglich der Frau gibt: Ist sie vollständig beschnitten oder hat man unterschieden zwischen Menschen des Ostens und Menschen des Westens? Den Menschen des Ostens ist aufgetragen, einen Rest ihrer natürlichen Gestalt zu bewahren; den Menschen des Westens ist das nicht aufgetragen.“

Für mich ist diese Äußerung von außergewöhnlicher Schönheit. Denn die Rechtsgelehrten erklären, dass Beschneidung auf die Sitten und Gebräuche der Menschen zurückzuführen sei. Daher ist es auch notwendig, unterschiedliche Naturumstände mit einzubeziehen. Die Menschen müssen in ihnen nicht gleich sein, sondern sie wählen alle, was sie für sich selbst als passend und anständig ansehen.

So bedeutet dies, dass die Menschen diese Unterschiedlichkeiten praktizieren, ohne dass ein Krieg zwischen ihren Religionsgelehrten oder ihren Medizinern oder ihren Soziologen ausbräche. Jede Seite von ihnen ist froh. Wir müssen die unterschiedliche Natur von Menschen und Orten genau erkennen. Ist unsere gesamte Betrachtung nicht auf Zustände gerichtet, in denen es Besonderheiten in vielen Bereichen des allgemeinen menschlichen Verhaltens gibt?

Das bedeutet, dass Beschneidung, wenn sie Schaden anrichtet, nicht angewandt werden sollte. Es reichen die Vorfälle, die erzählt werden. Sie war nützlich, um die Lust der Frau zu korrigieren. Es war damals nichts Schlechtes an dieser Praxis, und auch die Ärzte sind dieser Meinung. Doch man braucht ärzliche Aufsicht, damit sie auf korrekte Art und Weise durchgeführt wird. Das verdeutlichten uns die Rechtsgelehrten in unserem Gespräch.

Im Anschluss daran sage ich: Wenn es große Einigkeiten zwischen den Rechtsgelehrten und den Ärzten in der Frage der Beschneidung gibt, dann heisst das für uns, dass nicht jeder Mensch prahlerisch seine Meinung verkünden sollte. Stattdessen müssen wir die Sache gut durchdenken, um daraus Bereiche der Übereinstimmung und Versöhnung zu erschließen und dabei gut zusammenzuarbeiten und teilzuhaben am Projekt der einigen umma. Sie soll uns einigen und nicht spalten. Und wenn sie gelegentlich gespalten ist, dann muss es nicht so sein, dass die eine Meinung die Vernünftige ist und die andere die Falsche. Stattdessen können wir vielleicht – ich sage: vielleicht –die Meinung in ihrem zeit-, situations- und ortsabhängigen Kontext behandeln und genauso die andere Meinung in ihrem anderen zeit-, situations- und ortsabhängigen Kontext. Dadurch profitieren wir von unserem geistigen Reichtum, der von all unseren Gelehrten des Rechts, der Medizin, der Gesellschaft sowie den Gelehrten anderer Wissenschaften ausgeht.

** Rechtswissenschaftler an der wissenschaftlichen Fakultät und bei „islamonline.net“

Sunday, August 20, 2006

Tanz den Nasrallah

Der hier übersetzte Song ist zur Zeit ein echter Hit im Westjordanland und wahrscheinlich weit darüber hinaus. Er stammt von der Gruppe Firqat ash-Shimal, die wiederum stammen aus der Gegend von Jenin. Der Song hat sie von einem Tag auf den anderen berühmt (aber wegen fehlenden Urheberrechts nicht reich) gemacht.

Nach Saddam Hussein, Bin Laden und anderen Ikonen der Gegenmacht wird nun also der Nasrallah von den Palästinensern glorifiziert. Psychoanalytisch lässt sich das wohl folgendermaßen fassen: das schwache Ich sucht sich einmal mehr den starken Führer fürs Kollektiv, über dessen Idealisierung es sich zugleich mit den anderen Individuen zur Masse, zum Mob verbinden kann. Die Idealisierung stellt ein regressives Moment dar, ein Zurückgehen auf die narzistische Stufe der Libidoentwicklung, auf der das Objekt von Idealisierung und Identifikation noch ungeschieden vom Subjekt, gleichsam als dessen Erweiterung, wahrgenommen wird. Die Identifikation der Individuen untereinander – die alle ein identisches, der Außenwelt entliehenes Ichideal aufweisen - bringt eine weitere narzistische Aufwertung mit sich. Die als kollektives Über-Ich nach außen verlegte Autorität führt außerdem zu einer immensen Entlastung des Gewissens. Infantiler Größenwahn und Skrupellosigkeit sind also kennzeichnende Symptome dieser Regression. Das Lied erzählt davon:

Eure Erde ist unsere Erde / euer Jerusalem ist unser Jerusalem / euer Blut ist unser Blut / eure Söhne sind unsere Söhne

Oh Falke des Libanon / oh Hassan Nasrallah

Das sind die Männer von Hisbullah / Sieg, Sieg mit Gottes Hilfe

Nasrallah der Verwegene / er folgte dem Ruf (Gottes) und der Rache

Rache arabischen Blutes, Rache / und islamischem Eifer

Wohin auch die Raketen schießen / das stolze Volk …

Wird dich in die Geschichte schreiben / dem Herrn der Schöpfung wirds gefallen

Deine Raketen auf Israel / man erzählt sichs von Generation zu Generation

Die Katjuscha ist der beste Beweis / sie erscheckt die Zionisten

Nasrallah, machtvollste Stimme / mein Volk folgt dir bis in den Tod

Wir wollen kein Geld und keine Edelsteine / wir wollen in Freiheit leben

Das Blut antwortet dem Blut / was eures ist, ist nicht ihrs

Die Zionisten sind das größte Gift / auf dem arabischen Boden .

Wednesday, August 02, 2006

Über die Unverhältnismäßigkeit

Anwürfe gegen Israel, wenn es sich wieder einmal verteidigen muss, sind durchweg moralisierenden Charakters. Israels militärische Überlegenheit gibt dem Nahrung. Da der Moralische der Ratio sich verschließen muss, erwägt er nicht das Ungeheure, wäre Israel einmal unterlegen - wenigstens nicht bewusst.

Man wisse ja, seufzt mancher resignierend, ein Israeli sei mindestens 100 Araber wert. Andere erklären aufgebracht, alle Menschen müssten doch gleich viel wert sein, und unterschiedliche Maßstäbe dürften nicht gelten. Nicht über rassistische Denkschemata Israels erfahren wir durch solche Äußerungen etwas, sondern über verdinglichte seiner Kritiker. Israel sinniert nicht über den Wert von Menschen, sondern es hat sich geschworen, niemals wieder Judenmord zuzulassen und bis zum Äußersten zu gehen für den Schutz seiner Bürger. Die Kritik verweist auf einen anderen Punkt. Soll auch der "Wert" der Menschen dem Kritiker zufolge gleich sein, so wird Israel hier offensichtlich nicht nach gleichem Maßstab beurteilt wie alle anderen Staaten, denen das Leben ihrer Bürger im Ernstfall auch 100 ihrer Feinde "wert" sind. Warum also soll Israel seine irren Todfeinde gewähren lassen? Weil die Staatlichkeit Israels, die jüdische Staatlichkeit, noch immer als unerhörte Anomalie und deren barbarische Bekämpfung als eigentlicher Naturzustand erfahren wird.


Sind israelische Kriegsopfer mehr wert als die ihrer Feinde? Offensichtlich, denn wegen drei Entführten, so wird oft kurz geschlossen, führt Israel einen Krieg, der schon Hunderte von Menschen das Leben gekostet hat. Israel hat überreagiert, ist sich der deutsche Blätterwald immer einiger. Ausgeblendet wird nicht nur der jahrelange Raketenbeschuss durch Hisbullah und Hamas, der erst nach der Räumung besetzter Gebiete ungeahnte Ausmaße angenommen hat. So viel ist richtig: das Leben und die Sicherheit der Entführten und aller anderen Israelis ist dem Staat sehr wertvoll. Notfalls kämpft und tötet er für diese, doch der Kampf bleibt immer allein diesem Ziel verpflichtet. Dem steht die Idee der Selbstmordkommandos und des Märtyrerkultes gegenüber, dessen erste Parole dem Feind gegenüber lautet: ihr liebt das Leben, wir aber lieben den Tod. Das Leben des Einzelnen zählt nichts bei ihren Anhängern, Freiheit und Recht existieren nicht. Einzig der Märtyrer wird zur entpersonalisierten Ikone stilisiert und hält einen ebenso triumphalen wie verlogenen Einzug ins Kollektivgedächtnis. Insofern ist ihr Leben - ganz sebstbestimmt - im Gegensatz zu denen der Israelis tatsächlich denkbar wenig wert. Das ist die wahre Unverhältnismäßigkeit.


Die Kampfverbände der Hisbullah operieren bekanntermaßen gezielt aus Wohngebieten heraus, denn der Tod vieler unbeteiligter Landsleute wird für den Sieg im Propagandakrieg nur allzu gern erkauft. Verachtung des Lebens und Verachtung des Todes korrespondieren aufs Innigste bei einer Bewegung, deren oberstes Ziel das Erreichen möglichst vieler ziviler Toter ist. Dabei trägt der Todeskult von Anfang an das Element von Totalität in sich. Ein zunächst gegen den Feind gerichteter unbedingter Vernichtungswille greift letztlich auch auf die eigene Bevölkerung über. Die Aggression erfährt totale Entgrenzung und wird tendenziell weltverzehrend. Es bleibt die traurige Aufgabe der Israelis, der Todessehnsucht ihrer Gegner nachzukommen, so lange diese nicht gelernt haben, ihre ganz weltlichen Interessen zu verfolgen. Sie haben schlicht keine Wahl.

Monday, July 03, 2006

Islamischer Schwulenhass

Ich dokumentiere hier exemplarisch den homophoben Wahn, der schon in der "gemäßigten" islamistischen Szene sein Unwesen treibt. Dies ist die Übersetzung eines Beitrags auf islamonline.net, dem größten islamischen Internetportal (der Muslimbruderschaft nahestehend, von Fernsehprediger al-Qaradawi geleitet). Der Artikel fällt ganz und gar nicht aus dem Rahmen - er ist nur ein willkürlich gewähltes Beispiel. Solche Rhetorik arbeitet dem Tugendterror zu und bedroht tagtäglich Menschenleben!


Ahmad al-Masri (Journalist, Saudi-Arabien)

Opfer des Missbrauchs ... die Abartigen* von morgen in Saudi-Arabien!

Homosexualität ist der Krebs der Neuzeit. Sie durchdringt unsere altehrwürdige arabische Gesellschaft. Ihre Existenz ist offensichtlich. Es erfordert koordinierte Anstrengungen, ihren Wurzeln entgegenzutreten und sie auszurotten. Wir dürfen unsere Köpfe nicht in den Sand stecken wie der Strauß. Wir dürfen uns nicht in die Wohnungen flüchten und auf bessere Zeiten hoffen.

Die Homosexualität pocht mit Gewalt an die Tore der saudischen Gesellschaft - das konstatieren soziologische Berichte und Studien. Die Ursachen sind vielfältig. Sie betonen das Ausgesetztsein der Jugend gegenüber sexuellem Missbrauch. Aufenthalt an sündigen Orten und Schauen zügelloser Satellitenkanäle geht einher mit nur schwacher Kontrolle durch die Eltern. Die Alarmglocken sollten heftig schrillen. Widerstand ist von uns verlangt, ehe es zu spät ist.

Andauernde Anstrengung
Die unermüdlichen Anstrengungen im Widerstand gegen das Phänomen der Homosexualität in der saudischen Gesellschaft sind ernsthaft und andauernd. Hervorgetan hat sich das dem Innnenministerium unterstellte Wissenschaftliche Zentrum für Verbrechensbekämpfung mit einer ersten Feldstudie zur Homosexualität in Saudi-Arabien Ende 2003. Sie hatte zum Ziel, die zentralen Ursachen und unterstützenden Faktoren, die für die Homosexualität in der Gesellschaft von Bedeutung sind, aufzudecken, um Abhilfe zu schaffen. Diese Anstrengungen wurden begleitet von Einladungen an Schriftsteller und Experten, dieses Thema zu diskutieren, von seiner Entstehung bis zu seiner Behandlung. Auch der Schriftsteller Thamir as-Sichan rief in einem seiner Artikel in der Zeitung "Al-Hayya" zu einer Diskussion über Homosexualität auf.
Im selben Zusammenhang warnte der Soziologieprofessor Dr. Abdallah Yussuf in einem Arbeitspapier auf einem von der wohltätigen saudischen Gesellschaft für feministische Erneuerung am 3.4.2006 organisierten Symposium vor sexuellen Übergriffen im Milieu pubertierender Mädchen und Jungen. Er begründete diese Warnung mit einer Statistik des Ministeriums für Erziehung und Bildung, die besagt, dass unter männlichen Jugendlichen Sittenverstöße mit 19 Prozent das zweithäufigste Delikt nach Diebstahl sind. Die gleiche Statistik zeige, dass lesbische Beziehungen auf Mädchenschulen in 46 Prozent der Fälle, in denen Mädchen verurteilt wurden, der Grund waren.

Sexuelle Revolution
Dr. Nura ash-Sharim, Psychologin an der Fakultät für Pädagogik der König-Saud-Universität, erklärte gegenüber islamonline.net: die Welt erlebt heutzutage eine sexuelle Revolution, die sämtliche Grenzen ignoriert. Diese Situation, die uns dazu brachte, dieses Thema zu dieser Zeit anzusprechen, erfordert Einhalt, Nachdenken und Vorsorge, um zu gewährleisten, dass unsere Kinder eine pädagogische und rechtgeleitete islamische Sexualerziehung erhalten. Es wäre unser würdig, den Sexualtrieb so zu organisieren, dass er entsprechend den Geboten funktioniert, ohne davon abzuweichen.
Nura ash-Sharim verwies in diesem Zusammenhang auf die Studie "Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der saudischen Gesellschaft" von Dr. Ali az-Zahrani, der an der gleichen Universität lehrt. Danach seien ungefähr 22,7 Prozent der Kinder sexuellem Missbrauch ausgesetzt und 62,1 Prozent weigerten sich, die Personen zu nennen, die sie missbraucht haben. Sie erklärte, sie habe eine Forschungsstudie durchgeführt, sie vollendete ihre Maßnahme an einer von hundert Mädchen über 23. Sie fand, dass in 75 Prozent der Missbräuche die Täter Fremde seien, in 15 Prozent Bekannte und in 10 Prozent Verwandte.
Dr. ash-Sharim weist darauf hin, dass zu den schlechten seelischen Begleiterscheinungen sexuellen Missbrauchs die Neigung zur Homosexualität gehöre. Die Vergewaltigung von Kindern entlässt möglicherweise neue Schwule in die Gemeinschaft, was zu einer Zuspitzung des Phänomens beiträgt. Das heisst, die Opfer von heute werden die Schwulen von morgen sein.

Gründe der Verbreitung
Zu den Gründen für die Verbreitung der Homosexualität erklärt der Journalist der "Al-Hayya", Professor Thamir as-Sichan, gegenüber islamonline.net Folgendes: "Allgemein sagt man, dass Homosexualität erblich sei. Zweitens sagt man, es sei eine Sache der Erziehung. Drittens sagt man, es hänge zusammen mit der Überzeugung des Schwulen von der Logik, nur seine Geschlechtsgenossen könnten seine Gefühle und Wünsche verstehen. Viertens sagt man, das Problem liege im Wunsch des Schwulen, Aufmerksamkeit zu erregen, etwas Schwieriges zu erörtern und Ähnliches. Man spricht auch von einem fünften Punkt, der sich ein wenig von den anderen unterscheidet: es geht darum, dass der sexuell Missbrauchte in die Homosexualität flüchtet. Meiner Meinung nach muss einer der vier vorher genannten Faktoren auf den Missbrauchten zutreffen, damit er zum Schwulen wird. Den Missbrauch können wir nicht als Hauptgrund für das Problem ansehen. As-Sichan weist darauf hin, dass die meisten Fälle von Homosexualität im Königreich auf die vier ersten Gründe zurückzuführen seien.
As-Sichan bringt zum Ausdruck, dass er die Meinung ablehnt, nach der Homosexualität in den Golf-Gesellschaften wegen des nicht vorhandenen Umgangs mit dem anderen Geschlecht zunehme. Er weist darauf hin, dass diejenigen Staaten den höchsten Schwulenanteil aufweisen, in denen das Gebotene hinsichtlich der Geschlechtervermischung mit einer "tu was dir gefällt"-Haltung übertreten wird. Das lasse die Homosexualität ansteigen.
As-Sichan warnt, die neuen Medien behandelten die Homosexualität zunehmend als eine Mode, und er verweist darauf, dass der Schwule sich früher noch vor einer Offenbarung seiner Neigung fürchten musste. Er musste sich vor der Autorität der Gesellschaft fürchten. Das heißt, die Gesellschaft in jener Zeit billigte keine feine Kleidung bei Männnern und keine grobe bei Frauen, und so gab es wenig Schwule und noch weniger Ansammlungen von Schwulen. Heute können wir wegen der Mode nicht mehr zwischen einem Schwulen und einem modisch Gekleideten unterscheiden.

Der soziale Wandel
Dagegen erklärt Dr. Salih bin Ramih ar-Ramih, Professor der Soziologie an der König-Saud-Universität, gegenüber islamonline, dass die islamische Gesellschaft - Gott sei's gelobt - solche Erscheinungen ablehne und bekämpfe. Der Islam - und damit die Gesellschaft - bilde einen unüberwindlichen Wall und ermögliche die Bekämpfung solcher Phänomene.
Er fügt hinzu: wenn wir die Entwicklungsgeschichte unserer Gesellschaft verfolgen, finden wir, dass früher in welcher Phase vor dem Sprung des saudi-arabischen Königreichs auch immer kannte die saudische Gesellschaft nicht einen einzigen Fall von Homosexualität, in welcher Form auch immer, gleich ob das Praktiken der Männer untereinander (Schwule), der Frauen untereinander (Lesben) oder sexuellen Kindesmissbrauch betraf. Das kam daher, weil das Leben von Einfachheit, Liebe und Stammeszusammenhalt geprägt war. Die Gesellschaft war in all ihren Schichten und Konfessionen eine produzierende Gesellschaft.
In der Zeit nach dem Sprung ereigneten sich eine Reihe von sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Veränderungen, die sich auf die Gesellschaft im Allgemeinen und die saudische Familie im Besonderen auswirkten. Trotz vieler positiver Dinge, die der Sprung mit sich brachte, gibt es auch eine Reihe von Problemen und negativen Erscheinungen, die durch diesen Sprung, die zivilisierte Lebensweise und die heftige Veränderung in der Gesellschaft aufgekommen sind. Zu den ernstesten Problemen, die in der saudischen Gesellschaft aufgekommen sind, zählt die Homosexualität und der Missbrauch und die Vergewaltigung von Kindern.

Wo ist die Familie?
Die Faktoren und Ursachen für die Existenz dieser Probleme seien vielfältig, sagt ar-Ramih. Zu den wichtigsten gehörten:
- Die unzureichende Kontrolle durch die Familie. Die Familie sieht sich nicht mehr für Aufsicht und Kontrolle der Kinder zuständig und kümmert sich nicht mehr um ihre Probleme, wie das noch in der Phase vor dem Sprung der Fall war. Die Familie begann, ihre Aufsichtspflicht zu vernachlässigen mit der Begründung, man müsse sich um den Lebensunterhalt kümmern, und die Alltagsprobleme hätten zugenommen.
- die Hausangestellten, die in großem Maße zur Veränderung von Form und Zusammensetzung der saudischen Familie beigetragen haben. Indem sich die saudische Familie auf die Hausangestellten verließ, kamen ihr eine Reihe von Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten abhanden, die sie vorher innehatte. Die Familie begann, ihre Kinder zu vernachlässigen. Das betraf vor allem das Baden, das Schlafen und den Wechsel der Kleidung; all dies prägt ein Kind sehr.
- der Kontakt des Kindes mit den Hausangestellten lässt das Kind viele Gewohnheiten, Verhaltensweisen und soziale und kulturelle Werte annehmen, die den Werten, Gewohnheiten und Traditionen der saudischen Gesellschaft entgegenstehen. Ohne Zweifel spielen Umgang und Kontakt mit den Hausangestellten eine bedeutende und gefährliche Rolle in der Verbreitung von sexuellen Übergriffen und Homosexualität.
- zu den schwerwiegendsten Ursachen, die zur Homosexualität führen, gehört auch der Kontakt der Kinder mit den Nachbarskindern, deren Kultur und Gewohnheiten sich möglicherweise von denen der Familie unterscheiden. Hinzu kommt die fehlende elterliche Kontrolle der Kinder, dass die Eltern ihren Kindern nicht zuhören, dass sie ihnen nicht ausreichend Zeit widmen und dass der offene Austausch zwischen Eltern und Kindern nicht mehr funktioniert. All diese Faktoren führen zu einer Zunahme derartiger Phänomene.
- das älteste Kind stellt die Begleitung, und das führt aufgrund fehlender Kontrolle durch die Eltern möglicherweise dann zu ihrer Vergewaltigung

Kultur des Lasters
Vielleicht gehört auch das Satellitenfernsehen und die Öffnung zur restlichen Welt zu den wichtigsten Ursachen der Homosexualität. Das Satellitenfernsehen transportiert Werte, Sitten und Traditionen, die sich von unseren edlen gesellschaftlichen Werten unterscheiden. Die Kinder und Erwachsenen werden mit seltsamen Dingen konfrontiert, die sie vorher nicht kannten (d.h. Verbreitung lasterhafter Kultur). Das Handy (Bluetooth) gilt als eines der wichtigsten modernen Kommunikationsgeräte, das sehr zum Austausch sexueller Inhalte unter jungen Menschen beigetragen hat, und zwar indem sie sich gegenseitig Sexbilder und Bilder von diversen gleichgeschlechtlichen Stellungen - ob zwischen Männern oder zwischen Frauen - zuschicken (d.h. Verbreitung einer Kultur der Schamlosigkeit und Unzucht).
Ar-Ramih weist darauf hin, dass der größte seelische und soziale Einfluss auf das Problem der Homosexualität in einem Defizit ursprünglicher gemeinschaftlicher Werte und Traditionen zu suchen sei. Damit einher gehe ein normatives Defizit. Hinzu komme, dass sich Gestalt und Charakter der Familie ändern werde. Das werde eine Zunahme der Zahl der Unverheirateten und eine Verbreitung homosexueller Delikte zur Folge haben. Es werde die Ausbreitung von Schandtaten und [religiös] Verbotenem sowie die Zunahme von Sittlichkeitsverbrechen und die Verbreitung von Alkohol- und Drogensucht nach sich ziehen. Dies werde, allgemein betrachtet, den Fortschritt, die Entwicklung und die Produktion in der Gesellschaft behindern und zur Rückständigkeit unserer ursprünglichen Gesellschaft führen.

Sensibilisierung und Prävention
Ar-Ramih ruft alle Verantwortlichen des Staates und die Repräsentanten aller Ministerien (Soziales, Gesundheit, Erziehung, Bildung sowie die Bürgerinitiativen in der Gesellschaft) zur Bekämpfung dieser Erscheinungen und zur Vorbeugung auf. Er mahnt die Sensibilisierung der Menschen für die Ursachen und Gefahren an und fordert Aufklärung über den Schutz unserer muslimischen Gesellschaft vor solchem Übel. Er weist darauf hin, dass auch die Wissenschaftler, die diese und andere unmoralische Erscheinungen studierten, Verantwortung trügen. Ihre Verantwortung liege im vertieften wissenschaftlichen Studium des Phänomens, seiner Beseitigung sowie der Behandlungsmethoden am Einzelnen, in der Familie und in der Gesellschaft als Ganzer.
As-Sichan ist der Meinung, die wirksamste Behandlung dieser Problematik sei gegeben, wenn die Gesellschaft in dieser Phase aufrichtig mit sich selbst sei, die Existenz des Problems anerkenne und es dann offen diskutiere. Man müsse die Schwulen erreichen und die Ursachen ihrer Veränderung erforschen. Das Experiment bestätige, dass, was für andere richtig sei, nicht notwendigerweise für uns richtig sein müsse, besonders auf seelischem Gebiet.

* Eigentliche Bedeutung des allgemein gebräuchlichen Begriffs für Homosexuelle. Im Original durchweg verwendet, im Folgenden jedoch immer als "Schwule" (bzw. "Homosexualität") übersetzt.

Thursday, June 29, 2006

Ayatollah Sistani lässt Schwule und Lesben ermorden

Fatwa: "Tötet sie auf brutalste Art und Weise!"
Ayatollah Ali al-Sistani, der in islamwissenschaftlichen Kreisen in der Vergangenheit häufig als gemäßigter und weltabgewandter, politikferner Führer der Gläubigen, sozusagen als Gegenentwurf des Khomeini-Typus, dargestellt worden ist, zeigt sich als einer der großen Inszenierer des Horrors im Irak. Seine homophobe Mordmaschine rollt ungebremst durchs Land. Mehr z.B. hier.

Terror und Propaganda in Syrien

Wenn leere Gebäude angegriffen werden

Baschar al-Assad, Thronerbe auf dem Präsidentenstuhl der syrischen Republik, war angetreten mit der Ankündigung, umfassende Reformen auf jedem Gebiet, sei es politisch, wirtschaftlich oder kulturell, durchzuführen. Doch der innenpolitische Stillstand, der wohl angesichts der Zukunftsaussichten des Systems treffender mit den Worten Verfall und Niedergang charakterisiert wäre, prägt auch sechs Jahre nach seinem Amtsantritt das Bild.

Auf welche Eckdaten der syrischen Wirtschaft der Blick auch fällt, sie lassen auf keine rosige Zukunft hoffen. Die wichtigsten Exportgüter Syriens sind neben Erdöl landwirtschaftliche Erzeugnisse. Während in der Landwirtschaft in den letzten Jahren moderate Produktivitätszuwächse zu verzeichnen waren, da die staatliche Politik Autarkie besonders auf dem Nahrungsmittelsektor anstrebt, sinkt die Ölrevenue aufgrund der sich erschöpfenden Vorkommen stetig. Bereits in wenigen Jahren wird Syrien Erdöl-Nettoimporteur sein; die steigenden Ölpreise, die den Auswirkungen dieser Dynamik bisher noch entgegenwirkten, werden dann den syrischen Haushalt zusätzlich belasten. Vor allem angesichts der sinkenden Ölförderung liegt die Außenhandelsbilanz Syriens seit 2004 im negativen Bereich. Dies war vermutlich auch schon in den Jahren davor so, doch der massenhafte Schmuggel von Waren, der insbesondere von der im Libanon stationierten syrischen Armee betrieben wurde, ging an den Statistiken vorbei und verfälschte auf diese Weise die Bilanz. Exaktere Zahlen kamen erst durch die Liberalisierung des Handels 2004 ans Tageslicht. Die Inflationsrate bereitet immer wieder Sorgen, und auch das Wirtschaftswachstum bleibt unzulänglich: weit verbreitete Korruption bis in die höchsten Ränge des Staatsapparats, starke Regulation der Wirtschaft, fehlende politische Freiheit und eine allgemeine Rechtsunsicherheit tragen dazu bei, dass private Investitionen weiter rückläufig sind. Die Schaffung von Arbeitsplätzen kann daher nicht mit dem hohen Bevölkerungswachstum von über drei Prozent Schritt halten. Ein großer Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Sektor, denn die Regierung bekämpft die Arbeitslosigkeit, indem sie de facto überflüssige Stellen erhält. Sie subventioniert über diese Gehälter und Renten einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung und hält ihn auf diese Weise in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Staat. Dieses für den nahöstlichen Rentierstaat typische Verteilungssystem wird in der Zukunft ökonomisch nicht mehr tragfähig sein.

Nicht Reformunwilligkeit mag man dem „Ra’is“ angesichts ungezählter Gesetzentwürfe und Verordnungen vorwerfen, allein es fehlt an deren Umsetzung. Die Reformen finden eigentlich ausschließlich auf dem Papier statt. Ein neues Gesetz sollte die Etablierung einer Nichtregierungspresse ermöglichen, doch tatsächlich können bis jetzt nur belanglose Blätter erscheinen. Per Dekret ordnete Baschar die Reduzierung des obligatorischen Grundwehrdienstes auf zwei Jahre an, doch die Implementierung lässt weiter auf sich warten. Ebenso verhält es sich mit den reformierten Steuergesetzen oder mit den Plänen, ein Verfahren zur Entschädigung enteigneter Grundbesitzer zu entwickeln. Seit Jahren spricht Baschar auch von der Behebung gewisser „Missstände“ im Hinblick auf Teile der kurdischen Bevölkerung. Denn noch immer, wie schon seit Jahrzehnten, warten Zehntausende Kurden auf eine Neuausstellung ihrer Ausweispapiere und damit auf ihre Anerkennung als gleichberechtigte Bürger Syriens. Doch es regiert allenthalben die Stagnation. Der Präsident, so sind sich viele Analysten einig, kontrolliert den eigenen Apparat nur unzureichend. Die verkrusteten Machtstrukturen in der mafiös organisierten Führung vereiteln jeden Reformansatz und halten das Land weiterhin im eisernen Griff. Und die Repression nimmt zu: erst jüngst spülte die grösste Verhaftungswelle seit den Verhaftungen nach dem so genannten „syrischen Frühling“ im Jahr 2001 wieder einmal zahlreiche kritische Intellektuelle in die berüchtigten Folter-Gefängnisse. Baschar erklärte kürzlich seinem Volk in einer Fernsehansprache, angesichts der angespannten Situation im Irak und der fortwährenden Konfrontation mit dem Westen gehe die Sicherheit des Staates vor, müssten politische Reformen hintangestellt werden.

Die Unbeweglichkeit des Regimes in Bezug auf Entwicklung und Reformen steht ganz im Kontrast zu seiner Kreativität als Nachrichtenproduzent und seiner Fähigkeit zur theatralischen Selbstinszenierung. Denn die Lufthoheit über die Nachrichtenlage liegt in Syrien so gewiss in staatlicher Hand wie im Übrigen jede öffentliche Regung des Volkes. Immer mal wieder demonstriert die Staatsmacht vermittels spektakulärer Meldungen auf eine sehr plakative Art und Weise, dass sie die Zügel noch fest in der Hand hält. Bisweilen regen sich jedoch Zweifel an den kolportierten Versionen einiger Vorfälle, und der Verdacht eines grandiosen Schauspiels keimt auf. Da finden in schon fast regelmäßigen Abständen kleine, isolierte Zusammenstöße zwischen islamischen Terroristen der „Jund al-Sham“, einer etwas nebulösen Gruppe, der Verbindungen zum kürzlich liquidierten Abu Musab az-Zarqawi, al-Qaida-Chef im Irak, nachgesagt werden, und Sicherheitskräften statt. Entweder sind es dilettantisch durchgeführte Terrorattacken auf irrelevante Ziele, die in allerletzter Sekunde von den Sicherheitskräften vereitelt werden, oder aber die Terroristen werden durch Razzien der Antiterroreinheiten gleich präventiv übertölpelt. Das Ergebnis ist stets in etwa das Gleiche: einige tote Kämpfer und einige alte Waffen, beide gleichermaßen lieblos zum Fototermin aufgereiht. Auch rund um die Hariri-Ermittlungen gibt es Aufsehen erregende News. Da begeht der syrische Innenminister Ghasi Kanaan aus unerfindlichen Gründen Selbstmord, gleich nachdem er vor der UN-Untersuchungskommission zum Mord an Hariri ausgesagt hatte. Da wird eben diese Untersuchungskommission just zur rechten Zeit als Hort der Verschwörung gegen Syrien enttarnt, denn der Hauptbelastungszeuge Hussam kann den Manipulations- und Bestechungsversuchen von UN-Ermittlern und Hariri-Familie gerade noch entfliehen - hinüber ins rettende Syrien, wo er sofort die dortige Redefreiheit nutzt und eine ausführliche Pressekonferenz gibt, die in den darauf folgenden Tagen als Dauersendung über den Staatsäther das Volk berieselt. Und – nicht zu vergessen - da kann schließlich mitten in Damaskus, wo jede nächstbeste Kurdendemo noch am Versammlungsort erbarmungslos niedergeknüppelt und samt und sonders verhaftet wird, ein unorganisierter wütender Mob die dänische und dann auch noch die norwegische Botschaft in Brand setzen, bevor ihm die Polizei endlich vor der französischen Botschaft doch noch Einhalt gebietet. Anfang Juni ereignete sich erneut ein nachrichtenrelevanter Zwischenfall: Sicherheitskräfte vereitelten einen Anschlag auf ein leer stehendes Gebäude in der Nähe der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt im Westen der Hauptstadt. Fünf Tote und verschiedene Waffen werden danach präsentiert, mindestens 14 „Islamisten“, allesamt aus dem gleichen Dorf stammend, werden in den darauf folgenden Tagen verhaftet. Die eigentlich nahe liegende Frage, warum ein leeres Gebäude angegriffen werden sollte, wird nicht thematisiert.

Bereits vor zwei Jahren hatte sich nicht weit vom Tatort entfernt ebenfalls ein Angriff auf ein seit Jahren leer stehendes Gebäude ereignet. Zuvor war es von den für die Überwachung des Waffenstillstands mit Israel zuständigen U.N. Disengagement Observer Forces genutzt worden, nun wohnten lediglich zwei obdachlose Familien darin. Vier Bewaffnete zündeten vor dem Haus eine Autobombe und lieferten sich anschließend mit den Sicherheitskräften ein über einstündiges Feuergefecht, in dessen Gefolge zwei der Angreifer sowie ein Polizist und eine Unbeteiligte getötet wurden. Daraufhin kam eine Menschenmenge vor Ort zusammen, hielt Bilder des Präsidenten in die Höhe und skandierte antiamerikanische Parolen; Autos fuhren wie nach einem gewonnenen Fußballspiel hupend durch die Straßen.

Diese wahlweise von der Führung begeisterten oder gegen das feindliche Ausland protestierenden Massen sind ein unverzichtbares und immer wiederkehrendes Motiv in der baathistischen Choreografie, deren Ästhetik im Übrigen westeuropäischen Linken durchaus vertraut sein sollte. Die Demonstranten tragen bunte Transparente und Fahnen; sie rufen Parolen gegen den Imperialismus und für die Selbstbestimmung der Völker, fordern Solidarität und Gerechtigkeit, halten Mahnwachen ab und recken die Fäuste dem Himmel entgegen; als gelte es, endlich der Unterdrückung ein Ende zu bereiten. Dieses Widerstandsgebaren wirkt eigentümlich deplaziert, sind es doch Demonstranten des Regimes, kleine Mitläufer und Jasager, die ihre Performance bloß im Auftrag inszenieren gegen die imaginierte, allgegenwärtige Verschwörung des Auslands.

Die außenpolitische Funktion des Vorfalls selbst ist in diesem Fall leicht auszumachen. Syrien stand zu der Zeit wegen der vermuteten Förderung des Terrorismus im Irak extrem unter Druck. Die USA warfen Syrien wiederholt vor, die Grenze zum Irak nicht ausreichend zu schützen und terroristischen Gruppen einen gefahrlosen Transit zu ermöglichen. Da ereignete sich jener Anschlag, der nach Angaben aus Regierungskreisen eine Vergeltung für die Unterstützung der Amerikaner im Kampf gegen al-Qaida darstellen sollte. Die Syrer demonstrierten auf diese Weise, dass sie wegen ihrer konsequenten Antiterrormaßnahmen bereits mit Rebellion zu kämpfen hätten. Warum allerdings eine islamistische Gruppe nicht etwa zentrale Einrichtungen des Regimes, sondern ausgerechnet ein Gebäude der UN angreifen sollte, ist kaum nachzuvollziehen. Syrien konnte sich jedoch nun als Zielscheibe des internationalen Terrorismus darstellen und reklamierte so für sich den Anspruch, nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu sein.

Schwer ist zu beurteilen, zu welchen Anteilen Wahrheit und Dichtung sich in den kolportierten Räuberpistolen mischen. Es mag durchaus Aktivitäten kleiner islamistischer Terrorzellen in Syrien geben, so viel sei nicht in Abrede gestellt. Doch die Geschichten um die Ereignisse herum haben Funktionen im Dienste der Machterhaltung zu erfüllen. Neben einer situationsbedingt kalkulierten Propagandawirkung nach außen richtet sich vermutlich eine weitere wichtige Aufgabe dieser Meldungen nach innen. Es geht darum, den Respekt vor dem Staat, dem Präsidenten und den Exekutivorganen durch möglichst plastisches Zurschaustellen unvermittelter Herrschaft zu erhalten und zu stärken. Der Staat muss stets siegreich dastehen, denn nur dem Siegreichen ist die Gefolgschaft sicher; nur so kommt die etablierte Logik der Gewaltherrschaft zu sich selbst.

Auf ideologischem Parkett haben Panarabismus und arabischer Sozialismus eigentlich bereits seit dem Sechstagekrieg ihr Renommee verloren; insofern ist die syrische Baath-Partei des 21. Jahrhunderts ein Anachronismus par excellence. Eine liberale Bürgergesellschaft nach westlichem Vorbild scheint den Wenigsten ein realistisches Ziel zu sein in einem Land, in dem komplexe religiöse, ethnische, sowie Stammes- und Clanzugehörigkeiten de facto den persönlichen Status bestimmen. Nur der Islamismus hat, wie ehedem der Sozialismus arabischen Zuschnitts in Verbindung mit dem Panarabismus, das Potenzial, die Schranken zu überwinden (nicht aufzulösen!) und das kollektive Selbstverständnis einer egalitären (Not-)Gemeinschaft hervorzubringen. Die Vision eines Gottesstaates könnte eine Massenbasis erzeugen, die zu einer echten Opposition im Land taugt. Das Regime teilt diese Einschätzung, wie sich bereits 1982 zeigte, als Hafiz al-Assad die Stadt Hama bombardieren ließ, um einen Aufstand der Muslimbruderschaft niederzuschlagen. Tausende von Toten und eine zerstörte Stadt waren ihm dieser Sieg wert.

Und tatsächlich ging der Staat gefestigt aus diesem Vernichtungsfeldzug hervor. Er hatte in den Augen vieler an Legitimität gewonnen, denn, so lautete das Argument aus theologischer wie aus tribaler Sicht, das Recht ist mit dem Siegreichen. Auch die schlechte Ordnung, so will es die vorherrschende sunnitische Tradition, verlangt Loyalität und Unterwerfung, so lange die Ausübung des Glaubens nicht behindert wird, denn jede Ordnung sei schließlich besser als keine. Und nach tribaler Tradition ist es die Autorität des obersten Stammesführers, Desiderat des Respekts vor allem für seine kriegerischen Erfolge, welche über die Anhängerschaft subalterner Stämme bestimmt. Den Islamismus bekämpfen heisst daher für das Regime, ihn zwar als allgegenwärtige Gefahr, aber zugleich als impotenten Gegner zu zeichnen, dem anzuhängen keine Rendite verspräche.

Diese archaische Logik ist es auch, welche die plumpe Propaganda des Staates wirksam werden lässt. Die offiziellen Verkündungen werden von vielen nicht auf ihre Stichhaltigkeit überprüft, nicht kritisch bewertet, sondern einzig und allein als herrschaftlich sanktionierte Wahrheit konsumiert. Das allgemein niedrige Bildungsniveau trägt dazu bei, dass vielfach Politik in Kategorien von Verschwörung abgehandelt wird. Der kritische Gedanke unterliefe den Funktionszusammenhang dieser Gesellschaft und wäre damit an sich bereits ein Manifest der Nichtzugehörigkeit, ja des Nicht-Seins in einer Gesellschaft, die Leben ohne Zugehörigkeit nicht denken kann. Kritik erfordert Abstraktion, erfordert Konzentration auf den bloßen Gegenstand als etwas Losgelöstem abseits aller Besetzungen. Sie erfordert ein entsprechend abgelöstes, freies Individuum, das sich jenseits konkreter Lebenszusammenhänge und Zugehörigkeiten denken kann.

Die ideologische Weltsicht der Islamisten kommt in den staatlichen Verlautbarungen gar nicht erst zur Sprache, oder aber sie deckt sich mit der des Staates - dann wird die Tat zum Akt der Verzweiflung einiger Verwirrter gedeutet, die angesichts der erdrückenden ausländischen Bedrohung in die radikale und irrationale Ecke getrieben wurden. So behaupteten die zwei nach dem Angriff auf das leere UN-Gebäude lebend Gefassten in einem TV-Geständnis ganz entsprechend der offiziellen Sprachregelung, ihr Grüppchen habe unabhängig und aus eigenem Antrieb heraus gehandelt und verstehe diese Aktion als Reaktion auf die Aggressionen der Länder der Ungläubigen, insbesondere Israels und der USA, gegen die Muslime in Palästina, Irak und anderswo. Der Staat verhält sich also inhaltlich nicht antagonistisch zur islamistischen Ideologie, zu dem er formell in Systemkonkurrenz steht.

Syrien kann dem Islamismus nicht inhaltlich gegenübertreten; zum Einen, weil es deutliche strategische Gemeinsamkeiten gibt, zum Anderen, weil der Terror schließlich auch vom Staat selbst protegiert wird, solange er sich nach außen richtet. Der Staat bietet exilierten Führern von Hamas und Islamischem Jihad Unterschlupf und unterstützt die schiitische Hisbullah-Guerilla im Libanon. All dies geschieht mit der Maßgabe, Syrien als Freundesland und Rückzugsraum zu betrachten und die Autorität des syrischen Staates niemals in Frage zu stellen. Syrien begibt sich mit dieser Taktik auf eine ähnlich gefährliche Gradwanderung wie ehedem Saudi-Arabien; es könnte seinen eigenen Untergang herbeizüchten. Ein nicht unwesentlicher Unterschied besteht allerdings darin, dass sich das Feindbild der islamistischen Bewegung größtenteils mit dem des Regimes deckt, auch wenn die Islamisten andere Beweggründe für ihre Feindschaften vorbringen mögen. Dadurch gewinnt das Regime, oder wenigstens die strategische Allianz mit ihm, auch in deren Kreisen eine gewisse Reputation. Und so ergibt sich die zunächst verwirrende Situation, dass das wahhabitische Königshaus Saudi-Arabiens die al-Qaida fürchten muss, während die säkulare Militärdiktatur einer nach mehrheitlicher Auffassung häretischen Sekte in Syrien verschont wird. Diese Allianz bestimmt das syrische Verständnis vom Terror: Terroristen sind nach syrischer Diktion die militanten Feinde Baschar al-Assads, nicht etwa diejenigen, denen nach Musikverbot und Judenmord der Sinn steht.

In letzter Zeit mag der Eindruck aufkommen, die Allianz mit den Islamisten verliere ihren bloß strategischen Charakter. Es ist neuerdings zu beobachten, dass sich die Staatspropaganda vermehrt einer islamischen Diktion bedient. „Gott schütze dich, oh Syrien“ lautet der wohl verbreitetste patriotische Slogan heutzutage, und auch der Geburtstag des Propheten wurde in diesem Jahr erstmals offiziell gefeiert. Selbst staatliche Agitation im Sinne des politischen Islam ist nun vor nationalem Hintergrund möglich: im Zuge der Proteste gegen die dänischen Karikaturen konnte man über die Straße gespannte Nationalfahnen erblicken, die mit einem Aufruf zum Boykott dänischer Waren versehen waren. Die Regierung versucht, der islamistischen Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie sich dieser nicht nur auf realpolitischem, sondern auch auf propagandistischem Feld annähert. Das säkulare Regime lässt - ganz im Gegensatz zu früheren Zeiten - keinen Widerspruch zwischen Religion und Nation bzw. „Arabertum“ mehr gelten und demonstriert dies entweder durch bestimmte semantische Verschiebungen oder durch gezieltes politisches Ausspielen der islamischen Karte. Es beansprucht somit implizit und zaghaft erstmals auch religiöse Autorität. Doch Vermutungen, Syrien wandele sich auf diesem Wege zu einem religiösen Staat, sind abwegig. Baschars Flirt mit dem Islam ist rein taktischer Natur; er umarmt den Feind, den er nicht besiegen kann, und er nutzt den gemeinsamen politischen Nenner mit diesem. Insofern steht der demonstrative Kampf gegen islamistischen Terror zu dieser Strategie nicht im Widerspruch. Jemand erklärte es mir in Damaskus einmal so: „Wir sind gegen jede Form von Terrorismus, ob al-Qaida oder amerikanischer und israelischer Staatsterrorismus, aber: Hamas, islamischer Jihad und Hisbullah sind Befreiungsbewegungen gegen den Terror.“ Es ist diese antikoloniale Attitüde im Kampf der genannten islamistischen Gruppen, welche dem Baath-Regime, das sich selbst die antikoloniale Befreiung auf die Fahnen geschrieben hat, sowohl eine Übernahme der Rhetorik als auch bestimmte strategische Allianzen ermöglichen. Dagegen verleiht die nationale und territoriale Ungebundenheit des „global players“ al-Qaida und assoziierter Gruppen diesen eine gewisse Unbestechlichkeit und somit Unberechenbarkeit, die festen Allianzen kategorisch entgegensteht. Nichtsdestotrotz rangiert der „Schurkenstaat“ Syrien gewiss weit unten auf der Liste anschlagsrelevanter Ziele der al-Qaida.

Mehr Sorgen muss sich das Regime um den syrischen Arm der Muslimbruderschaft machen: ideologisch bestehen zwar kaum Differenzen zu Hamas und anderen, doch liegt der Schwerpunkt des Engagements der Brüder nicht im Kampf gegen den zionistischen Feind im Westen oder gegen den imperialistischen großen Satan im Osten. Sie streben den regime change im eigenen Land an - die Vertreibung der Ungläubigen von den Töpfen der Macht und die Restaurierung sunnitischer Vorherrschaft unter der Scharia. Ihre Auffassungen und ihre - neuerdings zunehmend von demokratieseeliger Rhetorik durchsetzten - Kommuniques werden begreiflicherweise nicht publiziert oder kommentiert, nur von ihren angeblichen Greueltaten (etwa 1982 in Hama!) oder ihren angeblichen Verschwörungsaktivitäten im Ausland wird berichtet. Sie sind echte Terroristen im syrischen Sinne, und in diesem Punkt kann sich das syrische Regime ausnahmsweise auch der Unterstützung durch die Vereinigten Staaten sicher sein – trotz der Rhetorik.

Monday, June 26, 2006

Adorno im Jemen

Neulich in der jemenitischen Tageszeitung as-Sabah (06.05.2006), von mir aus dem Arabischen:


Kritik am aufgeklärten Denken

Theodor Adorno (1903-1969) hatte schon von Jugend auf verschiedene Interessen in Bezug auf Literatur, Kunst und Philosophie, doch Philosophie und Musik beherrschten ihn fortwährend trotz seiner Bekanntheit als Philosoph der kritischen Frankfurter Schule. Einige sagen, dass seine Leistungen in der Musik- und Literaturkritik größer als in seinen philosophischen Werken seien, insbesondere seine Aufsätze über Wagner, Gustav Mahler, Schönberg, Kafka und Walter Benjamin. Für Adorno ergab sich eine Verbindung zur Musik über seine Mutter, die italienischer Abstammung und Opernsängerin war. Adornos Familie war wohlhabend, was ihm die Gelegenheit verschaffte, auf dem Gebiet der Musik seine Träume zu verwirklichen. Er erhielt bereits von klein auf Musikunterricht. Er studierte Philosophie, bis er 1924 die Doktorwürde mit einer Dissertation über den Philosophen Edmund Husserl erlangte.

Danach steigerte sich sein Interesse an der Philosophie sehr, bis er im Jahre 1931 mit einer Dissertation über den Philosophen Kierkegaard zum Professor wurde. Zu dieser Zeit begann er, sich einer Anzahl von bedeutenden Denkern anzunähern, z.B. dem Gesellschaftswissenschaftler Max Horkheimer, dem Psychoanalytiker Erich Fromm, dem Literaturkritiker Walter Benjamin und dem Philosophen Herbert Marcuse, die alle später mit ihm die so genannte Frankfurter Schule bildeten. Es gab intensive Bemühungen, die Philosophie voranzutreiben auf dem Weg, sie praktisch und direkt mit der Soziologie und der Psychoanalyse zu verbinden. Die Frankfurter Gruppe begann, an der Entwicklung der kritischen marxistischen Theorie zu arbeiten, die sich auf die zeitgenössischen Gesellschaften bezieht. Dieses Unternehmen leitete vorher Carl Grünberg, Professor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, das später zur Frankfurter Schule wurde. Die Machtergreifung Hitlers und der Nazipartei in Deutschland hatte negativen Einfluss auf die Schule und ihre Denker; sie zwang eine Reihe von ihnen zur Flucht ins Ausland. Sie reisten nach Genf und von dort aus in die Vereinigten Staaten. In dieser Phase arbeiteten Adorno und Horkheimer zusammen an der Abfassung des Buches "Dialektik der Aufklärung", das auf die Fragen, die der erbitterte Krieg aufwarf, eine Antwort zu geben versuchte.

Wie passte der Krieg mit der zivilisierten Menschheit zusammen, und warum ließ die Menschheit mit dem Krieg das Zeitalter der Aufklärung hinter sich? Später wurde das Buch zur wichtigsten Quelle der kritischen Frankfurter Schule. Adorno zeigte, dass die Aufklärung, wie Kant sagte, ein Werk des Verstandes ist, dass sie sich jedoch von der Befreiung des Menschen von Aberglauben und Mythos verwandelt in eine Beute der Kräfte des Marktes und der Gesellschaft, die das Individuum abschaffen und es in ein Zahnrad in der großen Produktionsmaschine umformen.

Adorno kritisierte die Philosophie der Aufklärung, weil Faschismus und Nazismus im Herzen des aufgeklärten Europa aufkamen und die ganze Welt in die Katastrophe führten. Dies weise darauf hin, dass die primitive Rückständigkeit und Barbarei eine Saat sei, die auf aufgeklärtem europäischem Boden fortwese. Dies sei passiert, weil sich der Verstand in ein Werkzeug in der Hand des ökonomischen Vorteils verwandelt habe. Adorno forschte nach seiner Rückkehr nach Deutschland nach den demokratischen Werten und den Gründen der Entstehung des autoritären Charakters und des blinden Glaubens an einen einzelnen Führer. Adorno konzentrierte sich auf die Frage, wie es dem modernen Menschen möglich sein könne, der tyrannischen Macht der Gesellschaft entgegenzutreten, ohne dabei seine Freiheit und Individualität zu verlieren. Erwähnenswert ist, dass die pessimistische Sichtweise hinsichtlich der Zukunft der Menschheit im Denken Adornos überwiegt. Dies stellte er in seinem Buch "Negative Dialektik" heraus, in dem er darauf hinweist, dass der Mensch aus der Unkultur stammt und dorthin zurückkehren wird und dass die Geschichte sich nicht von der Barbarei hin zur Menschlichkeit entwickeln wird, sondern vielmehr von der Schleuder hin zur Atombombe.

In den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts erreichte Adorno den Gipfel seiner Berühmtheit und seiner Wirkung. Er kritisierte den Verfall der Kultur und ihre Verwandlung in Ware und Produkt heftig. In den 60ern kamen Tausende von Studenten an die Frankfurter Schule, um die Vorlesungen von Adorno zu besuchen, der ein "Nein" ausstieß angesichts der Macht des kontrollierenden Marktes.

Trotzdem behielt er eine ablehnende Haltung gegenüber den Studentenprotesten in Europa Ende der 60er Jahre; er sah sie als Werke des Pöbels an. Abschließend sei bemerkt, dass einige deutsche Forscher den Zusammenhang, den Adorno zwischen der Kulturtheorie und den Sozialwissenschaften aufspürte, nach wie vor als gegeben ansehen, und dass die Entwicklungen der letzten 30 Jahre die Richtigkeit seiner kritischen Ansichten bestätigen, ebenso wie seine originäre Deutung der Kulturindustrie. Die Kultur ist heute tatsächlich zur Industrie geworden, die bloß produziert, was die Masse konsumiert.


Adorno also im Kulturteil einer jemenitischen Tageszeitung. Die Rezeption ist etwas eigenwillig, und vielleicht, so viel mag man dem Autor zugute halten, ist die Unbeholfenheit der Beschreibung auch z.T. den Unbilden der sakral konservierten arabischen Sprache geschuldet.
Interessant ist natürlich, dass Auschwitz und Adornos Kategorischer Imperativ nicht erwähnt werden.
Interessant und für den arabischen Kulturraum geradezu kurios ist auch, dass sein Vater nicht erwähnt wird. Offensichtlich wollte sich der Autor also weder mit dem Antisemitismus im Allgemeinen noch mit der "jüdischen Seite" Adornos im Besonderen beschäftigen. Warum eine Reihe von Denkern der Kritischen Schule von den Nazis in die Emigration gezwungen wurde, bleibt dem Uneingeweihten damit rätselhaft.
Interessant und wahrscheinlich mit der genannten Tabuisierung des Antisemitismus zusammenhängend ist drittens, dass Adornos (Nicht-) Beziehung zu Gott nicht erwähnt wird, ein Faktum, das arabische Leser doch interessieren dürfte.
Was war nun die Motivation des unbekannten Schreibers? Traurige Vermutung: Adorno als Kronzeuge gegen die Dekadenz des Kulturbetriebs...