Wednesday, August 02, 2006

Über die Unverhältnismäßigkeit

Anwürfe gegen Israel, wenn es sich wieder einmal verteidigen muss, sind durchweg moralisierenden Charakters. Israels militärische Überlegenheit gibt dem Nahrung. Da der Moralische der Ratio sich verschließen muss, erwägt er nicht das Ungeheure, wäre Israel einmal unterlegen - wenigstens nicht bewusst.

Man wisse ja, seufzt mancher resignierend, ein Israeli sei mindestens 100 Araber wert. Andere erklären aufgebracht, alle Menschen müssten doch gleich viel wert sein, und unterschiedliche Maßstäbe dürften nicht gelten. Nicht über rassistische Denkschemata Israels erfahren wir durch solche Äußerungen etwas, sondern über verdinglichte seiner Kritiker. Israel sinniert nicht über den Wert von Menschen, sondern es hat sich geschworen, niemals wieder Judenmord zuzulassen und bis zum Äußersten zu gehen für den Schutz seiner Bürger. Die Kritik verweist auf einen anderen Punkt. Soll auch der "Wert" der Menschen dem Kritiker zufolge gleich sein, so wird Israel hier offensichtlich nicht nach gleichem Maßstab beurteilt wie alle anderen Staaten, denen das Leben ihrer Bürger im Ernstfall auch 100 ihrer Feinde "wert" sind. Warum also soll Israel seine irren Todfeinde gewähren lassen? Weil die Staatlichkeit Israels, die jüdische Staatlichkeit, noch immer als unerhörte Anomalie und deren barbarische Bekämpfung als eigentlicher Naturzustand erfahren wird.


Sind israelische Kriegsopfer mehr wert als die ihrer Feinde? Offensichtlich, denn wegen drei Entführten, so wird oft kurz geschlossen, führt Israel einen Krieg, der schon Hunderte von Menschen das Leben gekostet hat. Israel hat überreagiert, ist sich der deutsche Blätterwald immer einiger. Ausgeblendet wird nicht nur der jahrelange Raketenbeschuss durch Hisbullah und Hamas, der erst nach der Räumung besetzter Gebiete ungeahnte Ausmaße angenommen hat. So viel ist richtig: das Leben und die Sicherheit der Entführten und aller anderen Israelis ist dem Staat sehr wertvoll. Notfalls kämpft und tötet er für diese, doch der Kampf bleibt immer allein diesem Ziel verpflichtet. Dem steht die Idee der Selbstmordkommandos und des Märtyrerkultes gegenüber, dessen erste Parole dem Feind gegenüber lautet: ihr liebt das Leben, wir aber lieben den Tod. Das Leben des Einzelnen zählt nichts bei ihren Anhängern, Freiheit und Recht existieren nicht. Einzig der Märtyrer wird zur entpersonalisierten Ikone stilisiert und hält einen ebenso triumphalen wie verlogenen Einzug ins Kollektivgedächtnis. Insofern ist ihr Leben - ganz sebstbestimmt - im Gegensatz zu denen der Israelis tatsächlich denkbar wenig wert. Das ist die wahre Unverhältnismäßigkeit.


Die Kampfverbände der Hisbullah operieren bekanntermaßen gezielt aus Wohngebieten heraus, denn der Tod vieler unbeteiligter Landsleute wird für den Sieg im Propagandakrieg nur allzu gern erkauft. Verachtung des Lebens und Verachtung des Todes korrespondieren aufs Innigste bei einer Bewegung, deren oberstes Ziel das Erreichen möglichst vieler ziviler Toter ist. Dabei trägt der Todeskult von Anfang an das Element von Totalität in sich. Ein zunächst gegen den Feind gerichteter unbedingter Vernichtungswille greift letztlich auch auf die eigene Bevölkerung über. Die Aggression erfährt totale Entgrenzung und wird tendenziell weltverzehrend. Es bleibt die traurige Aufgabe der Israelis, der Todessehnsucht ihrer Gegner nachzukommen, so lange diese nicht gelernt haben, ihre ganz weltlichen Interessen zu verfolgen. Sie haben schlicht keine Wahl.

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