Thursday, September 28, 2006

Weibliche Genitalverstümmelung im Lichte des Islam

Europäische Muslime und Islamwissenschaftler verbreiten gern die Mär, weibliche Genitalverstümmelung fände im Islam weder Grundlage noch Rechtfertigung. Das mag als normative (Gegen-)Setzung von sehr ehrenwerter Absicht getragen sein; den Muslimen sei im innerislamischen Diskurs daher kein Vorwurf zu machen. Wissenschaftlich-analytisch betrachtet ist das Unsinn. In vielen ländlich geprägten Gegenden regiert das rostige Küchenmesser noch unangefochten und natürlich samt islamischer Legitimation. Und auch in eher städtischem Umfeld setzt erst langsam ein durch westliche Wertmaßstäbe beförderter Bewusstseinswandel ein. In diesem Kontext ist folgender Text aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft zu sehen. Hier wird religiös gegen die „Beschneidung“ von Frauen argumentiert, ohne damit aber einer breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung über das Thema das Wort reden zu wollen. Der Autor bemüht sich sehr, die Position, dass „Beschneidung“ im Islam nicht vorgeschrieben sei, zu untermauern. Gleichzeitig propagiert er kulturelles laissez-faire, um die umma (Gemeinschaft der Gläubigen) nicht zu spalten - eine der größten Sorgen der Islamgelehrten seit jeher.

[Abschließend noch eine sprachliche Anmerkung: Bei der Übersetzungsarbeit erweist es sich immer wieder als Schwierigkeit, zwischen Zitat und proklamierter Aussage des Autors zu unterscheiden, d.h. Zitiertes und in eigener Sache Gesprochenes verfliesst oft ineinander und ist allenfalls sinngemäss, jedoch nicht grammatikalisch zu trennen. Möglicherweise liegt auch in dieser manifesten Unkenntnis (oder Ablehnung) der Zitattechnik eine Ursache für die Missverständlichkeit päpstlichen Zitierens in der arabischen Welt.]


aus: islamonline 25.07.2006

Beschneidung von Frauen - zwischen Erlaubtem und Verbotenem

Masud Sabri **

Es ist erstaunlich, dass, immer wenn das Thema Beschneidung zur Sprache kommt, großer Streit entsteht und die Emotionen hochkochen. Es ist, als ob die Sache der Beschneidung ein Fall für das jüngste Gericht wäre und als ob sie unantastbar wäre. Wir wollen die Angelegenheit nicht kleinreden, aber man muss sie doch einordnen und sie entsprechend der korrekten Überlieferungen diskutieren, im [religions-]gesetzlichen sowie im gesellschaftlichen und medizinischen Rahmen.

Man kann die Angelegenheit der Beschneidung aus mehreren Blickwinkeln betrachten: dazu gehört die Sharia-Perspektive, die grundlegend für dieses Thema ist, und die ärztliche Perspektive, die bedeutsam für die Entwicklung einer Sharia-Position ist, indem sie ergänzend und klärend wirkt. Genau das sagten einige Gelehrte: „Gott der Erhabene hat zwei Bücher: das sichtbare Buch und das gelesene Buch. Das sichtbare Buch ist die Existenz der Wissenschaften, des Lebens u.a., und das gelesene Buch, welches das Wort Gottes des Erhabenen, der ehrwürdige Koran, ist. Es ist selbstverständlich undenkbar, dass es Widersprüche zwischen den beiden Büchern geben könnte, deren Urheber doch Gott der Erhabene ist.“

Hinzu kommt die gesellschaftliche Dimension, besonders bei Fragen, in denen man nicht übereinstimmt oder bei Fragen, die sich um die Beurteilung von Zulässigkeit drehen. Man soll ein Volk nicht missbilligen, weil es einen Brauch praktiziert oder nicht praktiziert, solange die Gemeinschaft, die in ihm lebt, darin übereinstimmt. Wichtig ist, dass es keine Unterschiede in der Gesetzgebung gibt und dass die Menschen sich auf das Passendste einigen. Sie sollen sich dabei an den Auffassungen der Rechtsgelehrten aller Zeiten und Orte orientieren. Diese haben die Rechtsfindung und ihre praktische Umsetzung mit Hilfe der Instrumente der Sharia in Übereinstimmung gebracht. Sie zogen sowohl den medizinischen als auch den gesellschaftlichen Kontext mit in Betracht, denn beide deuten und erläutern die Wahrheit des Sharia-Urteils. Grundlage eines Sharia-Urteils über eine Sache ist ein klarer rechtlicher Hinweis (in den Quellen, d. Übers.). Wenn diese Klarheit fehlt, wird das Urteil auf Basis der Rechtsfindung eines jeden Einzelnen gefällt.

Urteil über die Beschneidung

Schauen wir uns das Urteil über die Beschneidung an, so finden wir die Rechtsgelehrten gespalten in dieser Frage.

Der Erste: Beschneidung ist sunna (wünschenswert) für Männer wie für Frauen

Der Zweite: Beschneidung ist Pflicht für Männer wie für Frauen

Der Dritte: Beschneidung ist Pflicht für Männer und eine ehrenvolle Tat für Frauen

Der Vierte: Es gibt kein Urteil über die Beschneidung. Sie ist weder Pflicht noch empfehlenswert. Ibn Qudama überlieferte die Worte Hassan al-Basris:“Wenn jemand Muslim wird, ist es gleich, ob er beschnitten ist.“ Er sagte: “Es bekehren sich Schwarze und Weiße zum Islam. Untersucht niemanden von ihnen und beschneidet sie nicht.“ Dem Abraten Ibn Qudamas und den Urteilen von Gelehrten zufolge muss ein Junge nicht beschnitten werden, wenn er Angst hat.

Beim Gespräch der Rechtsgelehrten bestand Einigkeit darüber, dass die Beschneidung von Jungen getrennt von der Beschneidung von Mädchen zu behandeln ist. Hier findet die unterschiedliche Beschaffenheit dessen, was abgeschnitten wird, Berücksichtigung. Bei der Beschneidung eines Jungen wird die Vorhaut, die die Eichel bedeckt, abgetrennt, so dass die Eichel komplett freiliegt. Bei der Frau schneidet man die Haut über der Klitoris, die über dem Harnausgang liegt. Die Rechtsgelehrten verbieten, irgendetwas darüber hinaus wegzuschneiden, um der Frau keinen Schaden zuzufügen. Sie weisen damit auf schlechte Bräuche bei der Beschneidung von Mädchen hin, die einige unwissende Männer und Frauen praktizieren. Sie machen damit aus der Beschneidung eine Folter für das Mädchen. Das meinen auch die Ärzte, die zur Unterlassung dieser Praktik auffordern. Auch die Rechtsgelehrten erklären, sie sähen es als wünschenswert an, dass nur wenig bei der Frau weggeschnitten werde und dass beim Schneiden nicht übertrieben werde.

Diese Position deckt sich mit der ärztlichen Sicht, nach der bei der Beschneidung von Männern nur überschüssige Haut entfernt wird, während es sich bei der Frau um einen körperlichen Eingriff handelt. Aus diesem Grund lehnen viele Ärzte die Beschneidung von Frauen ab, denn was ihnen damit genommen wird, ist nichts Überschüssiges.

Es gibt viele Ärzte, die sagen, dass die Beschneidung der Frau schade. Doch wir finden auch einige, die diese Verallgemeinerung ablehnen. Die Beschneidung, die man als Sharia- Beschneidung kenne, unterscheide sich von der, die viele Menschen durchführten. Bei ihr gebe es keinerlei Schaden für die Frau.

Legitimität der Beschneidung

Die Behauptung, es gäbe keine Hinweise auf die Legitimität der Beschneidung von Frauen, ist nicht richtig. Ebenso wenig ist es richtig, von einer Pflicht zu sprechen. In einem gesunden (korrekt überlieferten, d. Übers.) Hadith heisst es: „Wenn zwei Beschnittene zusammenkommen, müssen sie sich waschen“. Dieses Hadith weist auf die Tatsache hin, dass auch die Frauen beschnitten waren, doch es findet sich nichts darin, das auf eine Pflicht dessen hindeutet. Eine Pflicht ließe sich nur mit einem Hinweis auf das Schneiden begründen. Es gibt einige andere Hadithe, wie das Hadith der Umm Atia Radillah: „Eine Frau führte in Medina Beschneidungen durch. Der Prophet (sas) sagte zu ihr: Übertreibe es nicht, denn das macht die Frau vorteilhafter und es ist vom Ehemann bevorzugt“. Der Imam Al-Shafii erwähnte es und der Überlieferer Abu Dawud erzählte das. Das Urteil Abu Dawuds darüber ist überliefert. Er sagte: „Aber er sagte: nicht mit Gewalt“. Es ist bekannt, dass die Schafiiten diejenigen sind, die von einer Beschneidungspflicht für Frauen sprechen. Gleichzeitig überliefert einer ihrer größten Gelehrten ein Hadith, in dem es heisst: nicht mit Gewalt. Zeitgenössische Überlieferer haben dort Korrekturen vorgenommen, doch sie können ebenfalls keine Beschneidungspflicht herauslesen, sondern bloß Hinweise auf die Existenz von Beschneidung erkennen.

Das verweist auch auf das Werk Abrahams (Friede auf ihm). Der Herr sprach: „Dann gaben wir dir ein, dass die religiöse Gemeinde Abrahams rechtgläubig war.“ Und es entstand eine große Diskussion unter den Rechtsgelehrten: Folgen wir Abraham in allem was er tut, oder folgen wir dem, was in unserem Gesetz steht? Das heisst, dass bezüglich dieses Hinweises nicht unter allen Gelehrten Übereinstimmung herrschte.

Den Fehler, den die Islamgelehrten machen, wenn sie die Beschneidung für legitim erachten, vermittelt der Imam Ibn Taymiyya in seinen Fatwas: Das Beabsichtigte bei der Beschneidung des Mannes ist die Säuberung der unter der Vorhaut sich ansammelnden Unreinheit. Das Beabsichtigte bei der Beschneidung der Frau ist eine Anpassung ihrer Lust. Denn wenn sie Vorhäute haben, ist ihre Lust heftig. Und wenn bei der Beschneidung übertrieben wurde, ist die Lust der Frau zu schwach. Dann hat der Mann an seiner Frau nicht den vollen Genuss, wenn er sie liebt. Wenn man der Frau wenig wegschneidet, erhält man das beabsichtigte Mittelmaß. Jedoch ist das Wort Ibn Taymiyyas eine Auslegung und kein rechtliches Indiz. Die Gelehrten klassifizierten folgendes Hadith als schwach (also wohlmöglich falsch): „Beschneidung ist sunna (wünschenswert) für Männer und eine ehrenvolle Tat für Frauen“.

Aufruf zum Nachdenken

Das heisst für uns in der Frage der Beschneidung Folgendes:

1) Es ist nicht möglich, von einer Beschneidungspflicht zu sprechen, denn nur solches ist eine Verpflichtung für die umma, auf das es einen Hinweis (in den Schriften, d. Übers.) gibt

2) Die Rechtsgelehrten unterscheiden bei der Beschneidung zwischen Männern und Frauen. Sie erkennen die Gefahren der Beschneidung bei Frauen und die Notwendigkeit, einerseits eine Art von Mittelmaß zu wahren, um der Frau nicht zu schaden, und andererseits die unwissenden Frauen an der Durchführung dieser Operation zu hindern. Es ist unumgänglich, sie unter vertrauenswürdiger ärztlicher Aufsicht durchzuführen, damit wir unseren Töchtern nicht schaden und ihre Gesundheit bewahren, so dass sie nicht sexuell frigide werden und wir uns mehr geschadet als genützt hätten.

3) Wenn die Beschneidung schädlich ist und wenn sie nicht notwendig ist, wenden wir sie nicht an, weder an Jungen noch an Mädchen. So sagte es Imam Ahmad, Hassan al-Basri und andere Imame. Gott der Allmächtige wende schaden von den Muslimen ab und erlaube den Muslimen nicht, sich selber Schaden zuzufügen.

4) Man kann die Hadithe unterscheiden in solche, die Beschneidung als existent zeigen und solche, die sie als nicht existent zeigen, obwohl sie wünschenswert ist. Das ist zurückzuführen auf Sitten und Gebräuche. Und wenn man die Umgebung in Betracht zieht, dann ist eine heiße Umgebung nicht mit einer kalten zu vergleichen. Der Imam Ibn al-Haaj hat in seinem Buch „der Eingang“ diese Bedeutung erfasst. Er erwähnt, dass es „einen Unterschied im Recht bezüglich der Frau gibt: Ist sie vollständig beschnitten oder hat man unterschieden zwischen Menschen des Ostens und Menschen des Westens? Den Menschen des Ostens ist aufgetragen, einen Rest ihrer natürlichen Gestalt zu bewahren; den Menschen des Westens ist das nicht aufgetragen.“

Für mich ist diese Äußerung von außergewöhnlicher Schönheit. Denn die Rechtsgelehrten erklären, dass Beschneidung auf die Sitten und Gebräuche der Menschen zurückzuführen sei. Daher ist es auch notwendig, unterschiedliche Naturumstände mit einzubeziehen. Die Menschen müssen in ihnen nicht gleich sein, sondern sie wählen alle, was sie für sich selbst als passend und anständig ansehen.

So bedeutet dies, dass die Menschen diese Unterschiedlichkeiten praktizieren, ohne dass ein Krieg zwischen ihren Religionsgelehrten oder ihren Medizinern oder ihren Soziologen ausbräche. Jede Seite von ihnen ist froh. Wir müssen die unterschiedliche Natur von Menschen und Orten genau erkennen. Ist unsere gesamte Betrachtung nicht auf Zustände gerichtet, in denen es Besonderheiten in vielen Bereichen des allgemeinen menschlichen Verhaltens gibt?

Das bedeutet, dass Beschneidung, wenn sie Schaden anrichtet, nicht angewandt werden sollte. Es reichen die Vorfälle, die erzählt werden. Sie war nützlich, um die Lust der Frau zu korrigieren. Es war damals nichts Schlechtes an dieser Praxis, und auch die Ärzte sind dieser Meinung. Doch man braucht ärzliche Aufsicht, damit sie auf korrekte Art und Weise durchgeführt wird. Das verdeutlichten uns die Rechtsgelehrten in unserem Gespräch.

Im Anschluss daran sage ich: Wenn es große Einigkeiten zwischen den Rechtsgelehrten und den Ärzten in der Frage der Beschneidung gibt, dann heisst das für uns, dass nicht jeder Mensch prahlerisch seine Meinung verkünden sollte. Stattdessen müssen wir die Sache gut durchdenken, um daraus Bereiche der Übereinstimmung und Versöhnung zu erschließen und dabei gut zusammenzuarbeiten und teilzuhaben am Projekt der einigen umma. Sie soll uns einigen und nicht spalten. Und wenn sie gelegentlich gespalten ist, dann muss es nicht so sein, dass die eine Meinung die Vernünftige ist und die andere die Falsche. Stattdessen können wir vielleicht – ich sage: vielleicht –die Meinung in ihrem zeit-, situations- und ortsabhängigen Kontext behandeln und genauso die andere Meinung in ihrem anderen zeit-, situations- und ortsabhängigen Kontext. Dadurch profitieren wir von unserem geistigen Reichtum, der von all unseren Gelehrten des Rechts, der Medizin, der Gesellschaft sowie den Gelehrten anderer Wissenschaften ausgeht.

** Rechtswissenschaftler an der wissenschaftlichen Fakultät und bei „islamonline.net“

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