Friday, December 28, 2007

Persilschein-Deutsche

Ein gewisser Stefan Herre zeichnet sich seit geraumer Zeit verantwortlich für den Blog PI („politically incorrect“). Jeden Abend sitzt er am Computer und zensiert die neu eingetroffenen Kommentare. Das ist Fleißarbeit, nicht nur weil sein Blog mittlerweile Millionen Klicks verzeichnen kann, sondern auch deshalb, weil hier die deutsche Volksseele sich im heimischen Wohnzimmer wähnt, in dem es sich ressentimentgeladenen Ergüssen hemmungslos hingeben kann, man ist ja unter sich. Das zu Streichende, denn Herr Herre möchte keinen Nazi-Blog betreiben, ist sicher zahlreich. Doch notwendig ist die Mühe, zum Einen wegen möglicher strafrechtlicher Konsequenzen, vor allem aber, um dem so erfolgreichen Konzept treu zu bleiben: der Koquetterie mit dem Politisch Inkorrekten, ohne die Grenze zum völkischen Wahn zu überschreiten. Der Blog sieht sich israel- und amerikasolidarisch und wendet sich gelegentlich gegen Homophobie.

In der guten Stube herrscht ein gutbürgerlicher Ton, der im Kommentarteil jedoch regelmäßig durch Ausfälle gegen die „teppichknutschenden Musels“ seine besondere, würzige Note erhält. Man hat sich versammelt, denn da draußen geht Ungeheuerliches vor: die „ständig rammelnden Kameltreiber“ werden nicht nur immer mehr, sondern auch immer dreister. So wie die, ist man sich einig, sollte sich kein Gast benehmen.

Statt als gewöhnlicher rassistischer Stammtischdeutscher kann sich der enthemmte Blog- oder Blogkommentarschreiber nun dank Herres Konzeption als progressiver Querdenker begreifen, der Tabuisiertes enttabuisiert, überflüssige (doch nota bene: wohl vorhandene) Schuldgefühle über Bord wirft, der durch solchen Befreiungsakt schließlich ganz zu sich findet. Als vorgeblicher Freidenker und Advokat der Freien Welt ist er doch bloß der Volksgemeinschaft verhaftet.

Auf PI regiert, was Adorno das „Ticketdenken“ nannte, ein so reflexionsloses wie reflexhaftes Denken in vorgefertigten Kategorien, das vor allem beim vorurteilsvollen Charakter häufig anzutreffen ist. PI ist eine Mitmachseite, die ihre Leser dazu auffordert, im Nachrichtenwald nach geeigneten neuen Projektionsflächen für ihren deutschen Verfolgungswahn zu stöbern, und ihnen im Erfolgsfalle den Ehrentitel „Spürnase“ zukommen lässt.

Dabei ist PI aus dem anerkennenswerten Gedanken heraus entstanden, für die in Gefahr geratenen Werte der Aufklärung einzustehen gegen archaische Tendenzen aus dem Islam, und sich dabei kulturrelativistischen Argumenten gegenüber unzugänglich zu zeigen. Die political correctness einer stets zum Verstehen bereiten und zum Dialog noch mit den schlimmsten Henkern auffordernden herrschenden Politik war und ist gewiss kritisierenswert.

Doch Herre und seine Gemeinde kritisieren den Kulturrelativismus weniger, um sich vorbehaltlos der Humanität, sondern eher, um sich tabulos den Vorbehalten widmen zu können. Sie haben tatsächlich keinen Begriff von der Aufklärung, deren Anfang vom Ende das Kollektiv ist, nicht nur im Islam. Denn das vorurteilsbehaftete Denken im starren Raster von Eigen- und Fremdgruppe negiert jeden Universalismus und führt in schlimmste Fahrwasser.

So werden auch Stefan Herres beste Vorsätze beständig von einem Teil seines Publikums untergraben, etwa der, Homophobie zu ächten. „willy“ schreibt am 28.11.07 angesichts vieler hetzerischer Postings resigniert: „PI sollte wirklich Kommentare zur Homosexualität vermeiden. Es ist allzu offensichtlich, dass viele hier darüber genauso denken wie irgendwelche Islamisten.“ Auch das Eintreten gegen Antisemitismus steht ständig unter Beschuss. „Ruud“ schreibt am 15.12.06, bezogen auf die erschreckenden Äußerungen des sächsischen Bundestagsabgeordneten Nitzsche: „Was ist falsch an dem Begriff Schuldkult? Nur weil ich auf Seitens Israels bin weigere ich mich den Berufsjuden vom Zentralrat einen Persilschein auszustellen. Bin ich da echt der einzige: Pro jüdisch - pro Israel, aber bitte lasst mich mit dem deutschen Schuldkomplex und diesem furchtbarem Zentralrat in Ruhe.“ (sic)

Wie schnell der Protest gegen die Multikulti-Gesellschaft auch eine antisemitische Komponente zeitigen kann, bewies der Frankfurter Eklat um Frau Eskandari-Grünberg im Rahmen eines dieser leidigen Moscheestreits. Sie wies auf das simple Faktum von 40% migrantischer Bevölkerung hin und schloss die Bemerkung an, wem das nicht passe, der müsse eben wegziehen. Die anschließend bei ihr eintreffenden Drohbriefe und Emails sowie Hasstiraden auf expliziten Nazi-Foren richteten sich nicht nur gegen sie selbst, sondern in besonderem Maße auch gegen ihren jüdischen Mann, zu dem ein regelrechter Steckbrief verfasst wurde. Auf PI wurde das mit keiner Zeile problematisiert.

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